Interessant ist, wie der Senat sich diesem dritten Hauptargument der Verzichtsgegner gewidmet hat. Nahegelegen hätte es, etwa die Unterhaltsfunktion, das spezielle Unterhaltsverzichtsverbot, den Fortbestand der Haftungsmasse, den Wagnischarakter oder den besonderen Zweck des Pflichtteilsrechts zu thematisieren.
(a) Unterhaltsfunktion
Ob und in welchem Umfang der Pflichtteil eine Unterhaltsfunktion hat, er etwa ein funktionelles Korrelat zur Unterhaltspflicht des Erblassers darstellt, ist umstritten. Das Bundesverfassungsgericht hat das Pflichtteilsrecht damit jedenfalls nicht begründet. Die grundrechtlich geschützte Mindestteilhabe am Erblasservermögen stützt sich gerade nicht auf die Unterhaltsfunktion; dies ist wichtig, denn die Grenzen für die Ausübung von erbrechtlichen Gestaltungsinstrumenten setzen Akte des Gesetzgebers und des Bundesverfassungsgerichts voraus.
(b) Unterhaltsverzichtsverbot
Das Familienrecht enthält in § 1614 Abs. 1 BGB ein ausdrückliches Unterhaltsverzichtsverbot. Dagegen hat der Gesetzgeber in § 2346 BGB Pflichtteilsverzichte ohne Einschränkung für zulässig erklärt. Darin ließe sich eine vorgehende spezialgesetzliche Wertung sehen, die – ebenso wie § 2338 BGB bei der Pflichtteilsbeschränkung überschuldeter Abkömmlinge, um dessen Eigengläubigern den Zugriff zu verwehren – für die Gültigkeit erbrechtlicher Gestaltungswege mit entsprechender Zielrichtung sprechen könnte.
(c) Haftungsmasse
Mit einem Verzicht auf den Pflichtteil muss der Berechtigte nicht zwangsläufig seine Stellung als Unterhaltsgläubiger verschlechtern. Danach könnte die Entscheidung im Streitfall davon beeinflusst werden, ob die Leistungsbezieherin etwa weiterhin den vollen bisherigen Unterhalt nach dem Erbfall nunmehr von ihrem Vater verlangen kann, dem auch der gesamte mütterliche Nachlass als Haftungsmasse zur Verfügung steht.
(d) Wagnischarakter
Darunter fällt der Hauptbegründungsstrang des Berufungsgerichts. Es stellt darauf ab, dass das Pflichtteilsrecht im Gegensatz zum Unterhaltsanspruch keine sichere, bereits bestehende Erwerbsquelle darstelle. Beim Verzicht sei noch nicht absehbar, ob und in welchem Umfang dem Verzichtende beim späteren Erbfall tatsächlich ein Pflichtteilsanspruch erwachsen wäre. Dem steht allerdings entgegen, dass nach den jeweiligen Umständen – wie gerade der Ausgangsfall zeigt – sich eine bloße Erwerbshoffnung beim Pflichtteil bereits stark verdichtet haben kann, während ein Unterhaltsanspruch wegen der Abhängigkeit vom Leistungsvermögen nicht unbedingt sicherer bzw. werthaltiger sein muss.
(e) Pflichtteilszweck
Trotz etwaiger Restunterhaltsfunktion des Pflichtteils ist ein mit der Ehe begründeter Unterhaltsanspruch gerade auch für den Fall gedacht, dass ein Partner in die Lage kommt, nicht selbst für sich sorgen zu können. Dazu gehört – um ein aktuelles Beispiel zu nennen – der sogenannte Krankheitsunterhalt – sei er ehebedingt oder nicht –, dessen Umfang und Grenzen sich am Grundsatz der nachehelichen Solidarität orientieren müssen. Die mit der Zeugung und Geburt bei Kindern begründete erbrechtliche Teilhabeerwartung ist indessen gerade nicht auf Vergleichbarem errichtet, sondern auf einer gewissen Perpetuierung des Familienstandards. Das ist ein qualitativer Unterschied.
(f) Senatsbegründung: das sozialrechtliche Regelungssystem
Auf die vorgenannten Begründungsstränge gegen eine Übertragung der Grundsätze des Unterhaltsrechts auf das Pflichtteilsrecht brauchte der Senat nicht zurückgreifen, denn das Sozialleistungssystem selbst steht einer Vergleichbarkeit zwingend entgegen:
Das betreffende Pflichtteilsrecht der Leistungsbezieherin kann allenfalls ein Korrelat zu ihren Unterhaltsansprüchen gegenüber ihren Eltern sein und der Sozialhilfeträger kann gerade diese Unterhaltsansprüche wegen des hier eingreifenden Grundsatzes des Familienlastenausgleichs nur in sehr eingeschränktem Maße auf sich überleiten. Dabei besteht kein Anhaltspunkt dafür, dass der Grundsatz des Familienlastenausgleichs das "Familienvermögen" der Eltern nur zu deren Lebzeiten schützen sollte. Eine solche Beschränkung ergibt sich jedenfalls weder aus dem Erb- noch aus dem Sozialrecht. So besteht die Beschränkung des Anspruchsübergangs nach § 92 Abs. 2 SGB XII unabhängig davon, ob die Eltern durch eine höhere Inanspruchnahme unbillig in ihrer Lebensführung beeinträchtigt würden. Letzteres begründet bei Vorliegen einer "unbilligen Härte" vielmehr eine eigenständige Beschränkung gemäß § 92 Abs. 3 SGB XII. Auch wird die Hilfe, die über die Grenzen des § 92 Abs. 2 SGB XII hinausgeht, nicht etwa nur als Darlehen gewährt, obwohl das SGB XII diese Form der Hilfeleistung durchaus kennt. Das spricht dafür, dass den Familien behinderter Leistungsbezieher das über die Grenzen des § 92 Abs. 2 SGB XII hinausgehende Einkommen und Vermögen auf Dauer und nicht nur zu den ...