a) Sittenwidrige Gestaltungskombination
Im ersten Komplex billigt der Senat 1990 ausdrücklich die Machtfülle des Erblassers durch Kombination ihm zur Verfügung stehender erbrechtlicher Gestaltungsinstrumente. Dies ist unbedenklich, wenn den einzelnen Instrumenten auch in der Kombination mit anderen ein eigenständiger Regelungsgehalt bleibt. Dazu folgendes Beispiel aus der Senatsrechtsprechung:
Ein befreiter Vorerbe wurde zugleich als Testamentsvollstrecker eingesetzt für die Ausübung sämtlicher Verwaltungs- und Verfügungsbefugnisse mit der Folge, dass der Nachlass dem Zugriff seiner privaten Gläubiger entzogen wäre (§ 2214 BGB). Diese Doppelstellung wäre erbrechtlich sinnentleert, denn dem Testamentsvollstrecker stünden seine Befugnisse bereits anderweitig über die Vorerbenstellung zu. Es bedeutete einen Gestaltungsmissbrauch, wenn es der Testamentsvollstreckung an der charakteristischen Beschränkung der Erbenrechte fehlte.
b) Sittenwidrige Behandlung der Behinderten
Dem zweiten Einwand aus § 138 Abs. 1 BGB, die mit befreiter Vorerbschaft Bedachte selbst werde sittenwidrig benachteiligt, weil ihr nur Teile der Nachlasserträge gleichsam nach Gutsherrenart des Testamentsvollstreckers zukommen sollten, hält der Senat schlicht entgegen: Nur mit dieser erbrechtlichen Konstruktion konnte der Behinderten überhaupt etwas aus dem Nachlass zufließen, von dem sie angesichts der bereits erbrachten Sozialhilfeleistungen sonst nichts bekommen hätte. Das ist sittlich verantwortlich. Ist ein solcher Vorteil nach den Verwaltungsanweisungen nicht sicher auszumachen, liegt Sittenwidrigkeit – da ist Bengel zuzustimmen – nahe, eben weil das erbrechtliche Gestaltungsinstrument "Vorerbschaft" leer zu laufen droht. Die Kritiker hätten Recht: Es handelte sich dann lediglich um ein vorgeschobenes Feigenblatt, das zur Verdeckung auch noch zu klein wäre.
Daneben darf aber auch die damit verbundene immaterielle Zuwendung durch Familienmitglieder keinesfalls vernachlässigt werden, auf die Behinderte besonders angewiesen sind. Die Verdrängung des Sozialhilfeträgers ist demgegenüber nur ein – allerdings nicht zu umgehender – Reflex.
c) Sittenwidrige Verdrängung des Nachrangprinzips?
In diesem dritten Einwand liegt der Schwerpunkt des höchstrichterlichen Wirksamkeitstestates mit ungebremster, nicht nachlassender Ausstrahlungskraft bis heute:
Mit dieser Testamentsgestaltung wollen Eltern ihrer sittlichen Verantwortung gemäß für das Wohl des Kindes auch dort sorgen, wo ihnen die Grenzen der Leistungsfähigkeit der Sozialverwaltungen entgegengehalten werden. Damit hatte der Senat – fast visionär – bereits den wieder als neu vorgestellten Gedanken über Verringerungen des Sozialleistungsstandards im Blick. Solchen Gefahren sollte gerade durch erbrechtliche Gestaltungen entgegengewirkt werden. Von einem beachtenswerten zeitlichen Wandel, der eine Neubestimmung der Sittenwidrigkeit bedingen könnte, kann nicht die Rede sein, vielmehr sollte ausdrücklich den Auswirkungen eines damals schon für möglich gehaltenen Wandels etwas Bestandskräftiges entgegengesetzt werden. Allgemeine dem Zeitgeist geschuldete Anschauungen über Solidarität und Risikoverteilung vermögen dem nicht die Grundlage zu entziehen.
Nach wie vor gilt: Nicht die bereits ausgeübte Verantwortung einschließlich materieller Versorgung kann ausnahmsweise vom Makel der Sittenwidrigkeit befreien, sondern der durch das Testament von Eltern über ihren Tod hinaus getroffenen Vorsorge gebührt die sittliche Anerkennung.
Solche Nachlassgestaltungen werden nicht nur durch die Testierfreiheit – Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG – gedeckt, sondern entsprechen zudem der verfassungsrechtlich – Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG – begründeten Verantwortung der Eltern für das Wohl ihrer Kinder auch über das Leistungsniveau der Sozialhilfe hinaus, die nicht ohne Weiteres hinter die Interessen der öffentlichen Hand – und damit der Allgemeinheit – an einer (teilweisen) Deckung der Kosten zurücktreten muss. Auch dem Sozialhilferecht ist ein solcher Vorrang der öffentlichen Interessen nicht zu entnehmen. Vielmehr hat der Gesetzgeber den Grundsatz der Subsidiarität der Sozialhilfe selbst mehrfach und gerade zugunsten behinderter Menschen und ihrer Eltern durch das gegenläufige Prinzip des Familienlastenausgleichs durchbrochen. Die Kosten für Versorgung, Erziehung und Betreuung behinderter Kinder sind insoweit endgültig der Gesellschaft zugewiesen.
Ergebnis: Die Testamentsallee ist uneingeschränkt als Gestaltungsweg ausgebaut, auf dem letztwillige Zuwendungen an Behinderte ohne Berücksichtigung der Belange von Sozialhilfeträgern befördert werden können.