1. Strukturen von Behindertentestamenten (zum ständigen Repetieren anempfohlen)
a) Erbschaftslösung
1975 konzipierte Bengel den Prototyp eines Testaments zugunsten Behinderter mit dem Ziel, dass dieser Personengruppe in beiden Erbfällen nach den Eltern etwas zugewandt werden kann, das nicht sogleich von Aufwendungen für Betreuung, Heimunterbringung und Lebensunterhalt aufgezehrt wird, sondern zusätzliche Vorteile verschafft zu den genannten von der Sozialhilfe getragenen Kosten der Existenzsicherung, und der Nachlass auch nach dem Tod des Behinderten in der Familie bleibt.
Dieser Prototyp – später als Erbschaftslösung klassifiziert – ist eine Kombination aus Vor-, Nach- und Mitvollerbschaft und Testamentsvollstreckeranordnung, bei der Behinderte nicht befreite Mitvorerben mit mehr als dem Pflichtteil und die übrigen Mitvoll- und Nacherben werden. Sie stützt sich auf drei Säulen:
1. Säule: Die nicht befreite Vorerbschaft zielt auf den Ausschluss des Vollstreckungszugriffs gemäß § 2115 BGB und des mittelbaren Zugriffs auf Früchte und Substanz bei wirtschaftlicher Gefährdung des Vorerben im Sinne von § 2216 Abs. 2 Satz 2 BGB sowie auf zusätzliche Absicherung der Verwaltungsanordnungen für den Testamentsvollstrecker.
2. Säule: Die Dauertestamentsvollstreckung mit weitestgehenden Rechten für den Testamentsvollstrecker dient der Abschirmung des Vermögensstocks gemäß § 2214 BGB und über bindende Verwaltungsanordnungen gemäß § 2216 Abs. 2 Satz 1 BGB der zusätzlichen Unterstützung durch Erträge aus der Vorerbschaft bei uneingeschränktem Bezug der Sozialhilfeleistungen ohne Kürzungsmöglichkeiten durch deren Träger.
3. Säule: Die Nacherbeneinsetzung bezweckt den Ausschluss von Kostenerstattungsansprüchen, die sich nur gegen Erben des Behinderten richten, und bewirkt so den Erhalt der Vermögenssubstanz in der Familie.
Später wurden zu diesem Prototyp zwei weitere Lösungen mit gleicher Zielvorgabe entwickelt.
b) Vermächtnislösung
Die Vermächtnislösung, bei der Behinderte enterbt und mit einem Vorausvermächtnis mindestens in Höhe des Pflichtteils bedacht werden, und die umgekehrte Vermächtnislösung, bei der sie allein nicht befreite Vorerben und die übrigen Bedachten Vermächtnisnehmer und Nacherben werden. Beide Lösungen werden flankiert mit Testamentsvollstreckeranordnungen.
2. Auswahlkriterien
Welche Lösung vorzugswürdig ist, muss die Beratungspraxis nach den jeweiligen familiären Umständen entscheiden. Als Entscheidungshilfe empfiehlt sich die bemerkenswerte Untersuchung von Muscheler zum Vor- und Nachvermächtnis. Dazu ein Kurzauszug:
a) Pro Erbschaftslösung
Für die Erbschaftslösung spricht, dass es noch keine höchstrichterliche Rechtsprechung zu der stark umstrittenen Frage gibt, wie im Falle der Vermächtnislösung das Konkurrenzverhältnis zwischen der noch nicht erfüllten Verbindlichkeit gegenüber dem Nachvermächtnisnehmer (§ 2174 BGB) und der Ersatzpflicht gegenüber dem Sozialversicherungsträger (§ 102 SGB XII früher § 92 c BSHG) zu entscheiden ist. Der Erbe des Vorvermächtnisnehmers schuldet beides – Ersatz der Sozialhilfekosten einerseits und Erfüllung des Nachvermächtnisses andererseits. Zusätzlich stellt sich das Problem, dass vor dinglicher Erfüllung der Gegenstand des Nachvermächtnisses zur Insolvenzmasse eines über den Nachlass des behinderten Vorvermächtnisnehmers eröffneten Nachlassinsolvenzverfahrens gehört.
b) Pro Vermächtnislösung
Über eine Mitgliedschaft in der Erbengemeinschaft erhält der Behinderte allerdings Beteiligungsrechte an Verwaltung und Auseinandersetzung des Nachlasses. Das kann wegen der Notwendigkeit, Testamentsvollstrecker und Betreuer einzuschalten, gegebenenfalls ein Mitregieren sogar familienfremder Außenstehender zur Folge haben, wenn etwa kompetente Familienmitglieder nicht ausreichend zur Verfügung stehen. Bei einem Zusammenführen von Testamentsvollstreckung und Betreuung in einer familienzugehörigen Hand könnte zudem den Einsatz eines Dauerpflegers bzw. Dauerersatzbetreuers erforderlich werden. Bei solchen Konfliktlagen scheint eine Lösung näherzuliegen, das behinderte Kind nicht zu Mit-Vorerben, sondern zum unter Testamentsvollstreckung gestellten Vor-Vermächtnisnehmer in einem Umfang zu machen, der Pflichtteilszusatzansprüche gemäß § 2307 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 BGB ausschließt.
c) Differenzierung nach Erbfällen
Unabhängig davon darf der Hauptunterschied zwischen Erbfall nach dem erstversterbenden Elternteil und nach dem Längstlebenden nicht außer Acht gelassen werden: Beim ersten Erbfall steht regelmäßig die Absicherung des länger lebenden Ehegatten im Vordergrund, was – für sich genommen – seine Einsetzung als unbeschränkter und unbeschwerter Alleinerbe verlangt und damit gegen eine Miterbenstellung des...