Das war bei der Ausschlagung bislang nicht der Fall. Auch das hat sich 2011 geändert. Der Senat hat mit der Verzichtsentscheidung zugleich die Stellung des Behinderten auch beim Ausschlagungsrecht gestärkt.
I. Ausschlagungsrecht nur für Bedachte
Die Feststellung, dass das Vorgehen des Behinderten der Erbrechtsgarantie entspringenden negativen Erbfreiheit und dem grundrechtlich geschützten Gebot zu familiensolidarischem Verhalten entspricht und deswegen zu billigen ist, hat der Senat über das Ausschlagungsrecht zusätzlich abgesichert.
Der Verzicht des behinderten Pflichtteilsberechtigten führt nur eine Situation herbei, die in vergleichbarer Weise durch eine testamentarische Gestaltung der Eltern hätte erreicht werden können. Hätten diese sich nicht gegenseitig zu Alleinerben eingesetzt, sondern – wie oft empfohlen und vom Senat gebilligt – dem behinderten Nachkommen bereits beim ersten Erbfall eine Miterbenstellung eingeräumt, so hätte der Sozialhilfeträger nur bei einer Ausschlagung auf den Pflichtteilsanspruch zugreifen können. Nach heute ganz einhelliger Auffassung, die der Senat jetzt seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat, kann der Sozialhilfeträger indes nicht das Ausschlagungsrecht auf sich überleiten und ausüben, um den Pflichtteilsanspruch nach § 2306 Abs. 1 BGB geltend zu machen. Der Zugriff auf den Pflichtteil des Behinderten wäre dem Sozialhilfeträger bei einer entsprechenden testamentarischen Gestaltung in vergleichbarer Weise verwehrt gewesen wie bei Wirksamkeit des Pflichtteilsverzichts. Weder kann also das Handeln des Behinderten als solches sittlich missbilligt werden, noch hat dieses ein missbilligenswertes Ergebnis zur Folge.
Mit diesem Begründungsteil hat der Senat deutlich gemacht, dass eine Ausschlagung durch Dritte nicht und schon gar nicht durch einen Sozialhilfeträger hingenommen werden darf, denn – so der Originalton:
Zitat
"Andernfalls erhielte der Sozialhilfeträger die Möglichkeit, auf die Erbfolge Einfluss zu nehmen, was generell nicht dem Erblasserwillen entspricht und nach dem Gesetz den Bedachten selbst vorbehalten ist."
II. Konsequenzen
Bei der Sittenwidrigkeitsuntersuchung kommt diesem Begründungsteil eine nicht zu unterschätzende Bedeutung zu, da das Vorgehen des Behinderten, eine ihm an sich zustehende Vermögensposition auch im eigenen Interesse nicht wahrzunehmen und endgültig aufzugeben, im Ergebnis ausdrücklich als billigenswert beurteilt wird.
Dem entspricht die seit Langem anerkannte Grundauffassung, dass mit Rücksicht auf die familiäre Verbundenheit von Erblasser und Pflichtteilsberechtigten allein Letzteren die Entscheidung überlassen ist, ob der Pflichtteilsanspruch gegen den Erben durchgesetzt werden soll. Seine Gläubiger sollen dieses Recht nicht an sich ziehen können.
Dadurch bekommt das Ablehnungsrecht zu eigenen Gunsten großes Gewicht. Wenn Armbrüster dies als "eigennützigen Akt" beschreibt, mit dem der Ausschlagende von Erbschaft und Sozialleistungen profitieren möchte, ist dem zuzustimmen. Nicht dagegen dem dahintersteckenden Gedanken, dass mit solcher Eigennützigkeit stets Sittenwidrigkeit einhergeht. Darauf wird eine Antwort nicht gegeben. Die angeblich fehlende Vergleichbarkeit der Erbausschlagung mit dem Behindertentestament ist keine Antwort. Sie blendet aus, dass für beide Gestaltungsrechte dieselben rechtlichen Wertungen gelten. Denn – ich wiederhole – mit der Ausschlagung wird nur eine Situation herbeigeführt, die in vergleichbarer Weise die Eltern durch testamentarische Gestaltung hätten erreichen können. Diese sind aber – wie belegt – sittlich geboten. Zu dieser Begründung schweigt der Literaturangriff.
Die Ausschlagung als Gestaltungsmittel hat sich auf diese Weise ihre Anerkennung erarbeitet. Dass zwischen einem Verzicht – etwa auf einen Pflichtteil oder ein Vermächtnis – und einer Ausschlagung einer Erbschaft kein wirtschaftlicher, sondern ...