Leitsatz
Ein Vorrang des Verfahrens zur Todeserklärung nach dem VerschG vor einem Aufgebot unbekannter Erben nach § 2358 Abs. 2 BGB ist dann nicht gegeben, wenn Zweifel an dem Tod des potenziellen Miterben nach den bekannten Fakten nicht gegeben sind.
OLG Hamm, Beschluss vom 26. Februar 2014, – I-15 W 80/13
Sachverhalt
Die am 21.2.1909 in L, jetzt F, geborene Erblasserin ist am 10.8.1998 in F verstorben, ohne eine letztwillige Verfügung zu hinterlassen. Die Erblasserin war verheiratet. Der Ehemann ist vorverstorben. Aus der Ehe sind zwei Kinder hervorgegangen, die ohne eigene Abkömmlinge zu hinterlassen vorverstorben sind. Die Erblasserin war die Tochter der T, geborene K, die vorverstorben ist, ohne weitere Abkömmlinge zu hinterlassen.
Die Mutter der Erblasserin hatte zwei Geschwister, die am 2.3.1891 geborene W, geborene K (verstorben am 26.11.1980), und die am 9.8.1892 geborene K, über die weitere urkundliche Nachweise nicht vorliegen. Aus der Ehe der W mit W1 sind fünf Kinder hervorgegangen, von denen drei kinderlos vorverstorben sind.
Die am 3.4.1921 geborene Tochter I, geborene W, ist am 30.12.1998 verstorben und von ihrer Tochter, der Beteiligten zu 1), beerbt worden. Der am 4.7.1929 geborene Sohn W2 ist am 21.12.1981 verstorben. Er hat vier Abkömmlinge hinterlassen, die Beteiligten zu 2) bis 4) und den am 1995 kinderlos verstorbenen W.
Das Amtsgericht Essen hat nach Durchführung eines Aufgebotsverfahrens betreffend die Erblasserin mit Beschluss vom 20.10.2005 festgestellt, dass Erbe das Land Nordrhein-Westfalen geworden ist (150 VI 541/98).
Mit Antrag vom 5.7.2012 hat die Beteiligte zu 2) beantragt, einen gemeinschaftlichen Erbschein zu erteilen, nach dem die Erblasserin von der Mutter der Beteiligten zu 1) zu 1/2 und von den Beteiligten zu 2) bis 4) jeweils zu 1/6 beerbt worden ist. Ergänzend hat die Beteiligte zu 2) ausgeführt, dass für die am 9.8.1892 geborene K nur eine Geburtsurkunde, ausgestellt vom Standesamt L unter dem 11.8.1892, vorhanden sei. Weitere Eintragungen über die K gebe es dort nicht. In der noch lebenden Verwandtschaft gebe es keine Erkenntnisse über deren weiteren Verbleib. Weitere Ermittlungsansätze seien nicht gegeben, sodass die Durchführung eines Aufgebotsverfahrens in Bezug auf die Existenz möglicher Kinder der K angeregt werde.
Mit Beschluss vom 10.1.2013 hat das Amtsgericht Essen den Erbscheinsantrag der Beteiligten zu 2) zurückgewiesen.Zur Begründung hat die Rechtspflegerin ausgeführt, dass die Durchführung des Aufgebotsverfahrens nach § 2358 Abs. 2 BGB in ihrem pflichtgemäßen Ermessen stehe. Da hier eine Todeserklärung nach dem Verschollenheitsgesetz in Betracht komme, sei ein Aufgebotsverfahren nicht angezeigt. Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde der Beteiligten zu 1) bis 4), der das Amtsgericht nicht abgeholfen und die es dem Senat zur Entscheidung vorgelegt hat. Auf Anregung des Senats haben die Beteiligten zu 1) bis 4) mit Schriftsatz vom 20.3.2013 beantragt, das Verfahren zur Erteilung des Erbscheins unter Aufhebung des amtsgerichtlichen Beschlusses an das Amtsgericht zurückzuverweisen.
Aus den Gründen
Die Beschwerde der Beteiligten zu 1) bis 4) ist zulässig. (...)
Die Beschwerde ist auch in der Sache begründet und führt zur Aufhebung des amtsgerichtlichen Beschlusses und zur Zurückverweisung des Erbscheinsverfahrens an das Amtsgericht (§ 69 Abs. 1 Satz 3 FamFG). Das amtsgerichtliche Verfahren leidet an einem wesentlichen Mangel, vor der Entscheidung wäre eine umfangreiche Beweiserhebung erforderlich und die Beteiligten zu 1) bis 4) haben die Zurückverweisung beantragt. Die vom Amtsgericht – Rechtspfleger – abgelehnte Durchführung eines Aufgebotsverfahrens nach § 2358 Abs. 2 BGB zum Ausschluss der als Miterbin in Betracht kommenden K und deren eventuell vorhandener Nachkommen ist nicht mehr durch das insoweit bestehende pflichtgemäße Ermessen gedeckt. Die amtsgerichtliche Entscheidung lässt aufgrund der nur unzureichenden Begründung bereits nicht erkennen, ob die Rechtspflegerin das Aufgebotsverfahren bereits abgelehnt hat, weil sie ein Verfahren nach dem Verschollenheitsgesetz – rechtsirrig – für vorrangig gehalten hat, oder ob sie unabhängig von dieser Rechtsansicht das ihr zustehende Ermessen noch ausgeübt hat.
Der Durchführung des Aufgebotsverfahrens steht entgegen der Ansicht der Rechtspflegerin nicht entgegen, dass ein Verfahren zur Todeserklärung nach dem Verschollenheitsgesetz (im Folgenden: VerschG) vorrangig wäre (Senat FGPrax 1999, 27). Ein Verfahren nach dem Verschollenheitsgesetz scheidet nach § 1 Abs. 2 VerschG nämlich immer dann aus, wenn der Tod des Betreffenden nach den Umständen nicht zweifelhaft ist. Wann zweifelsfrei aus den Umständen zu entnehmen ist, dass jemand verstorben sein muss, bestimmt sich nach der allgemeinen Lebenserfahrung. Nach sorgfältiger Prüfung aller Umstände dürfen für einen vernünftig Denkenden keine Zweifel an dem Tode bestehen (Staudinger-Habermann, BGB, Neubearbeitung 2013, § 1 VerschG [im Band Einleitung zum BGB und Allgemeiner Teil 1], Rn 11). Dies i...