Ohne Ermessenspielraum ist der Verwaltungsakt über den Erlass nach § 28 a Abs. 4 S. 3 ErbStG ganz oder teilweise zu widerrufen, wenn eine der Bedingungen nach § 28 a Abs. 4 Nr. 1–3 ErbStG eintritt. Dabei trifft den Erwerber die Mitteilungspflicht nach § 28 a Abs. 5 ErbStG. Während die Einhaltung der Bedingungen nach § 28 a Abs. 4 Nr. 1 und 2 ErbStG dem Verschonungskonzept insgesamt entspricht, geht diejenige nach § 28 a Abs. 4 Nr. 3 ErbStG deutlich darüber hinaus. So zwingt ein Erwerb von verfügbarem Vermögen – egal von wem – innerhalb eines Zeitraums von 10 Jahren nach dem Zeitpunkt der Entstehung der Steuer die Finanzverwaltung dazu, den Erlass ganz oder zum Teil zu widerrufen. Nach dem Wortlaut reduziert dabei weder die Erbschaft- noch die Einkommensteuerbelastung das verfügbare Vermögen.[59] Dies kann zu konfiskatorischen Besteuerungseffekten führen, was an folgendem vereinfachten Beispiel 3 verdeutlicht werden soll:

(1) Beispielsfall 3 (erlassbelasteter Erwerber)

Der ursprünglich vermögenslose N ist Alleinerbe seines am 2.7.2016 verstorbenen Vaters V, der verwitwet war und ihm einen GmbH & Co. KG-Anteil mit lediglich unschädlichem Verwaltungsvermögen im Wert von 30 Mio. EUR sowie das Familienheim in München mit einem Wert von 1,4 Mio. EUR hinterließ. N entscheidet sich für die Verschonungsbedarfsprüfung und erhält einen Erlass nach § 28 a ErbStG in Höhe von 8.300.000 EUR.

 
Steuerpflichtiger Erwerb 31.000.000 EUR
Steuer insgesamt 9.300.000 EUR
davon begünstigtes Vermögen 9.000.000 EUR
50 % von 1,4 Mio. Steuer, die hierauf entfällt, wird nicht abgezogen, 700.000 EUR
  8.300.000 EUR

G, die Großtante des N (N ist Angehöriger der Steuerklasse III) hat sich von der Anwältin A beraten lassen, die der Meinung ist, die Reform beträfe nur unternehmerisches Vermögen, und ein von A vorformuliertes Testament formgerecht erstellt, in dem sie N als Alleinerben einsetzte. G stirbt Ende 2016. Das Vermögen der G besteht im Wesentlichen aus einem Mietshaus in München, das G 2010 zum Preis von 7 Mio. EUR gekauft hatte und das wegen der dortigen Entwicklung des Immobilienmarkts Ende 2016 einen Wert von 10 Mio. EUR hat. N fragt Sie, was er machen soll.

(2) Lösung

N hat verfügbares Vermögen iSv § 28 a Abs. 4 Nr. 3 ErbStG erhalten. Da jedenfalls nach wohl hM sowohl Erbschaft- als auch Ertragsteuern, bei der Ermittlung des verfügbaren Vermögens unberücksichtigt bleiben[60], kommen 5 Mio. EUR verfügbares Vermögen hinzu.

 
* Widerruf des Erlasses in Höhe von 5.000.000 EUR
* Erbschaftsteuer nach G  
Erwerb nach § 13 d Abs. 1 ErbStG 9.000.000 EUR
  ./. Freibetrag 20.000 EUR
  Steuerpflichtiger Erwerb 8.980.000 EUR
  Steuer 50 % 4.490.000 EUR
Den Beweis nach RE 28 Abs. 4 ErbStR 2011 vermag N wegen des Erwerbs von V nicht zu führen.
* N verkauft das Mietshaus  
  Steuerpflicht § 23 Abs. 1 S. 3 EStG  
  Veräußerungsgewinn 3.000.000 EUR
  ESt-Höchstsatz 45 % (vereinfacht)  
  ESt-Belastung ohne SolZ + KiSt 1.350.000 EUR
* Gesamtsteuerbelastung  
  Widerruf des Erlasses 5.000.000 EUR
  Erbschaftsteuer nach G 4.490.000 EUR
  ESt 1.350.000EUR
    10.840.000 EUR

Sie werden N zur fristgerechten Ausschlagung (§§ 1942 ff BGB) unabhängig von der Frage raten müssen, wer Nächstberufener iSv § 1953 Abs. 2 BGB ist.

Konfiskatorische Steuern sind nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verfassungswidrig[61]. Daher sollte im Wege der verfassungskonformen Auslegung die Erbschaft- oder Schenkungsteuer, die auf den Erwerb von Vermögen nach § 28 a Abs. 4 Nr. 3 ErbStG entfällt, vom verfügbaren Vermögen abgezogen werden, denn nur das so reduzierte Vermögen ist tatsächlich verfügbar.

[59] Vgl. Hannes, ZEV 2016, 554, 560.
[60] Hannes, ZEV 2016, 554, 560.
[61] BVerfGE 63, 343, 368.

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