Gemäß § 37 Abs. 12 S. 1 ErbStG ist das neue Recht insgesamt – unabhängig vom Zeitpunkt seiner Verkündung bzw. Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt – auf alle Erwerbe anzuwenden, für die die Steuer nach dem 30.6.2016 entsteht. Zusätzlich stellen § 37 Abs. 12 S. 2 und 3 ErbStG klar, dass § 13 a Abs. 1 S. 3 und 4 ErbStG und § 13 c Abs. 2 S. 3 bis 5 ErbStG (Berücksichtigung früherer Erwerbe begünstigten Vermögens) ebenfalls auf alle Erwerbe nach dem 30.6.2016 anzuwenden sind.

Der Gesetzgeber möchte also ausdrücklich ein rückwirkendes Inkrafttreten der gesetzlichen Neuregelungen. Ob dies mit verfassungsrechtlichen Vorgaben im Einklang steht, ist indes zweifelhaft. Betroffen ist in erster Linie das Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG), an dessen Vorgaben auch die vorliegende Rückwirkungsanordnung zu messen ist.[76] Speziell im Steuerrecht wird prinzipiell zwischen der sog. "echten" Rückwirkung auf der einen und der "unechten" Rückwirkung auf der anderen Seite unterschieden.[77] Von einer echten Rückwirkung ist dann auszugehen, wenn an den in der Vergangenheit verwirklichten Tatbestand nachträglich neue/andere Rechtsfolgen geknüpft werden.[78] Bei der unechten Rückwirkung ist hingegen die Tatbestandsverwirklichung, die die neuen Rechtsfolgen auslöst, noch nicht (endgültig) abgeschlossen. Dies gilt zum Beispiel bei Änderungen von Steuergesetzen im Laufe eines (noch nicht abgeschlossenen) Veranlagungszeitraums.

Die echte Rückwirkung von Steuergesetzen ist in der Regel verfassungswidrig[79] und bestenfalls dann zulässig, wenn zum einen kein schutzwürdiges Vertrauen des Steuerpflichtigen anzunehmen ist und zum anderen zwingende Gründe des Gemeinwohls die Rückwirkung rechtfertigen.[80] Demgegenüber sind die Anforderungen an die Zulässigkeit einer tatbestandlichen Rückanknüpfung bei weitem geringer.[81]

Bei der Erbschaft- und Schenkungsteuer handelt es sich um eine Stichtagssteuer; die Steuer entsteht mit der Verwirklichung des entsprechenden Zuwendungstatbestands (§ 9 ErbStG). Mithin ist eine Einbeziehung von Zuwendungsfällen, die bereits vor dem Inkrafttreten des Gesetzes abgeschlossen waren, in den Anwendungsbereich der Neuregelungen in jedem Fall als echte Rückwirkung zu qualifizieren.[82]

Vor diesem Hintergrund sollte davon auszugehen sein, dass die in § 37 Abs. 12 ErbStG angeordnete Anwendungsregelung verfassungswidrig ist. Dies gilt umso mehr, als das BVerfG selbst die Frage einer möglichen rückwirkenden Gesetzesänderung in seinem Urteil vom 17.12.2014[83] ausdrücklich angesprochen und die Zulässigkeit einer solchen Maßnahme auf Regelungen beschränkt hat, die auf die Vermeidung einer "exzessiven Ausnutzung" der für verfassungswidrig erklärten Normen abzielen. Im Übrigen hatte das BVerfG die Weitergeltung des alten Rechts angeordnet.

Auch die durch die Verfassungsrichter gesetzte Frist und die damit verbundene Aufforderung an den Gesetzgeber, bis zum Ablauf des 30.6.2016 für eine angemessene Neuregelung zu sorgen, kann nicht für die Rechtfertigung der in Rede stehenden Rückwirkung herangezogen werden. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass sowohl das BVerfG selbst als auch die Finanzverwaltung[84] in der Vergangenheit öffentlich davon ausgegangen waren, dass das alte Recht bis zum Inkrafttreten einer Neuregelung (wann auch immer diese erfolgen würde) weiter anzuwenden sei. An derartige Aussagen ist der Gesetzgeber selbstverständlich nicht gebunden. Nichtsdestotrotz gebietet es das Rechtsstaatsprinzip, dass der Bürger nicht der Willkür des Staates unterworfen werden darf. Genau das passiert aber durch die echte Rückwirkung, und zwar gerade (auch) in Fällen, in denen eine nachträgliche Reaktion des Steuerpflichtigen ausgeschlossen ist.

[76] Crezelius, ZERV 2016, 541, 542.
[77] Hey, in Tipke/Lang, Steuerrecht, Rn 261 ff; Crezelius, ZERV 2016, 541, 542 mwN.
[78] Vgl. Crezelius, ZERV 2016, 541, 542.
[79] Crezelius, ZERV 2016, 541, 542.
[82] Crezelius, ZERV 2016, 541, 542; Wachter, DB 2016 Heft 39 M 5.
[84] Erlass vom 21.6.2016, BStBl I 2016, 646.

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