1. Das OLG Düsseldorf hatte sich mit dem Streit über die fragliche Wechselbezüglichkeit einer Erbeinsetzung zu befassen. Diesmal aber nicht wie so häufig mit der Frage, ob durch individuelle Auslegung die gesetzliche Vermutungsfolge des § 2270 BGB widerlegt werden kann. In dem Besprechungsfall hatten die Ehegatten sich gegenseitig zu nicht befreiten Vorerben berufen und jeweils ihre eigenen Kinder zu Nacherben. Nach Testamentserrichtung verstarb die einzige Tochter der vorverstorbenen Ehefrau, die anstelle ihres einzigen Kindes dann durch Einzeltestament deren Lebensgefährten zum Nacherben berief. Der Ehemann war der Auffassung, dass durch das Vorversterben des Kindes die Nacherbschaft mit der Folge entfallen sei, dass er nun unbeschränkter Alleinerbe ist. Konnte er das Nachlassgericht mit seinem Erbscheinsantrag noch überzeugen, musste der 3. Zivilsenat richtigerweise die erstinstanzliche Entscheidung aufheben.
2. Methodisch war die ergänzende Auslegung anzuwenden, deren Prüfungsschritte der BGH in seinem Beschluss vom 12.7.2017 herausgearbeitet hat (BGH ZEV 2017, 629, 630). Zunächst ist eine Lücke aufgrund der Willensrichtung des Erblassers, die durch einfache Auslegung zu ermitteln ist, festzustellen. Die Lücke muss planwidrig sein und wird durch den hypothetischen Erblasserwillen geschlossen. Die Willensrichtung im Testament muss eine Andeutung erfahren haben (zur Methode: Horn/Kroiß/Horn, Testamentsauslegung, 2012, § 3 Rn 34).
Das zunächst eingesetzte Kind konnte naturgemäß nicht Nacherbe werden, da es den Nacherbfall nicht erlebt hat (§ 2108 Abs. 1 BGB), sondern sogar schon vor dem ersten Erbfall verstorben war. Durch Auslegung ist dann zu ermitteln, ob die Nacherbschaft mit der Folge entfällt, dass der Vorerbe unbeschränkter Vollerbe wird, oder ob eine andere Person in die Stellung des Nacherben rückt. Wie im Besprechungsurteil ist eine Vollerbschaft des eigentlichen Nacherben nicht festzustellen, wenn der Erblasser Ersatznacherben berufen hat oder Anwachsung gemäß § 2094 BGB bei den weiteren Nacherben eintritt (BeckOK BGB/Litzenburger § 2108 Rn 1; MüKo-BGB/Müller-Christmann § 2108 Rn 6). Es ist zu fragen, was der Erblasser bei Testamentserrichtung für den nicht bedachten vorzeitigen Tod des Nacherben verfügt hätte. Der 3. Zivilsenat ermittelte durch ergänzende Auslegung, dass die Erblasserin die Person ihrer Nacherbin austauschen durfte. So wollten sie ihr Vermögen jeweils an die eigenen Verwandten weitergeben. Da sich aus dem Betreuungsverfahren ergab, dass die Erblasserin den Lebensgefährten ihrer vorverstorbenen Tochter als "Schwiegersohn" bezeichnet hat, hat sie ihn auch als ihren Familienangehörigen angesehen.
3. Für den anwaltlichen Praktiker ist auch die zutreffende Kostenentscheidung wichtig: Da die Beschwerde erfolgreich war, fallen Gerichtskosten nicht an. Damit war § 84 FamFG auch nicht einschlägig, wonach das Gericht die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels dem Beteiligten auferlegen soll, der es eingelegt hat. Es verbleibt bei der Ermessensentscheidung nach § 81 FamFG. Eine Erstattung von Anwaltsgebühren lehnte der Senat zutreffend ab mit der Begründung, dass die letztwilligen Verfügungen auslegungsbedürftig waren und die Gerichte unterschiedliche Standpunkte eingenommen haben. Dies entspricht der grundsätzlichen Tendenz der Rechtsprechung, bei Fällen der Auslegung keine Kostenerstattung einem Beteiligten aufzuerlegen.
Dr. Claus-Henrik Horn, RA/FAErbR, Düsseldorf
ZErb 12/2018, S. 350 - 353