Auch wenn grundsätzlich entsprechend der Haftungssystematik die Geltendmachung der Haftungsbeschränkung im strengen Sinne als Voraussetzung für die Durchgriffshaftung auf den Beschenkten nach der überwiegenden Auffassung erforderlich erscheint, bedarf dies im Einzelfall jedoch der Korrektur, bzw. einer kritischen Betrachtung.
Gerade das Ergebnis des Urteils des LG Stuttgart zeigt, dass das Abstellen auf eine tatsächliche nicht Verpflichtung der Haftungsverteilung des § 2329 BGB nicht unbedingt gerecht wird, insbesondere, wenn der Nachlass nur für einen Teil der Ergänzungsforderung haften würden.
Wie wäre die Situation einzuordnen, wenn in dem Fall, den das LG Stuttgart zu entscheiden hatte, der Sachverhalt so wäre, dass der Nachlass teilweise für den Pflichtteilsergänzungsanspruch haften würde und teilweise der Beschenkte, der Ergänzungsanspruch gegen den Erben aber verjährt wäre? Der Erbe muss dann nur die Einrede der Verjährung erheben. Er braucht sich keine Gedanken mehr über eine Haftungsbeschränkung zu machen und es besteht aus seiner Sicht keine Notwendigkeit mehr bei einem verjährten Anspruch eine Haftungsbeschränkung auf den Nachlass herbeizuführen.
In einem solchen Fall, in dem kein Anspruch gegen den Erben mehr durchsetzbar ist, erscheint es daher unbillig, die (teilweise) Durchgriffshaftung auf den Beschenkten an der dann "formalen" Voraussetzung der Geltendmachung der Haftungsbegrenzung scheitern zu lassen. Schließlich sind die Ansprüche gegen den Erben und der Anspruch gegen den Beschenkten zwei unterschiedliche Ansprüche deren jeweilige Höhe von der Frage der "Verpflichtung" im Sinne des § 2329 BGB abhängen. Besteht also für den Erben nicht die Notwendigkeit, die Haftungsbegrenzung geltend zu machen, weil ihm schon die Verjährungseinrede hilft, ist von einem nicht verpflichtet sein im Sinne des § 2329 Abs.1 BGB auszugehen.
Letztlich muss auch in Fällen der dem § 2329 Abs. 1 Satz 2 BGB vergleichbaren Konstellationen, wie es auch das OLG Zweibrücken ausführt, bedacht werden, dass es grundsätzlich keinen Unterschied machen darf, ob der Alleinerbe oder Miterbe, für den eine direkte Durchgriffshaftung gegen den Beschenkten besteht, oder ein Nichterbe seinen Pflichtteilsergänzungsanspruch fordert. Warum soll man den Nichterben auf einen langen und kostenintensiven Prozessweg zur Klärung eines tatsächlichen Haftungsumfangs des Erben verweisen können, während der Alleinerbe direkt gegen den Beschenkten vorgehen kann. Der Alleinerbe bzw. der Miterbe trägt letztlich nur das Risiko der schlüssigen Darlegung und das Beweisrisiko, dass der Nachlass nicht verpflichtet ist. In den Fällen, in denen offensichtlich kein ausreichender Nachlass vorhanden ist, ist ein direkter Durchgriff auf den Beschenkten daher zuzulassen.
Noch etwas deutlicher wird das Korrekturerfordernis, wenn man sich den möglichen Fall betrachtet, dass der Erblasser zu Lebzeiten alles verschenkt, eine GmbH zu seiner Erbin einsetzt und diese bei Inanspruchnahme durch den Pflichtteilsberechtigten keine Haftungsbeschränkungsmaßnahmen – da nicht notwendig – erhebt. Auch hier muss mangels Notwendigkeit einer Haftungsbeschränkung ein direkter Durchgriff auf den Beschenkten als zulässig erachtet werden.
Letztlich stellt sich die Frage, wie der Begriff des "Verpflichtet sein" auszulegen ist. Während das Gesetz in § 2329 Abs. 3 BGB ausdrücklich von der Haftung mehrerer Beschenkter spricht, wird in § 2329 BGB nicht von einer Haftung, sondern nur von einem "nicht verpflichtet" sein gesprochen. Letztlich kann dies auch im Sinne einer wirtschaftlichen Betrachtung auszulegen sein, deren Folge letztlich nur eine Beweis- aber keine Durchsetzungsproblematik wäre.
Würde man den Begriff des "verpflichtet sein" so verstehen, dass die unterschiedlichen Ansprüche der Höhe nach bezogen auf den Stichtag des Erbfalls festzustellen wären, dann wäre der Anspruch gegen den Erben und der gegen den Beschenkten lediglich der Höhe nach sich ausschließend, aber ansonsten unabhängig voneinander festzustellen. Schließlich sind es zwei unterschiedliche Ansprüche.
Es wäre dann der Stichtag entscheidend und es würde sich auch das Problem der späteren Wertveränderung des Nachlasses als Haftungsmasse erübrigen. Reduziert sich nämlich der Nachlasswert nach dem Eintritt des Erbfalls, reduziert sich auch der Haftungsumfang, was zu Lasten des Beschenkten gehen würde, wenn der Erbe bspw. riskant anlegt. Andererseits würde die Wertsteigerung nach dem Eintritt des Erbfalls die Haftung des Erben erhöhen, sodass seine Geschicke den Beschenkten entlasten.
Dieses zeitlich nach dem Erbfall eintretende unbestimmte Ereignis ist aber mit dem Stichtagsprinzip nicht vereinbar. Schließlich wird bspw. die Höhe der Einrede des § 2328 BGB am Stichtag des Erbfalls bemessen (der eigene Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsanspruch) und es tritt bei nachfolgender Wertsteigerung des Nachlasses keine Erhöhung der Einrede ein. Fällt der Wert des Nachlasses, wird die ursprüngliche Einrede nach § 2328 BGB zu...