Im anhängigen Verfahren vor dem EuGH C-394/20 (Vorlagebeschluss des FG Düsseldorf v. 20.7.2020, zu § 16 Abs. 2 und § 10 Abs. 6 S. 2 ErbStG) liegen nunmehr die Schlussanträge des Generalanwalts beim EuGH (v. 16.9.2021) vor. Das Ergebnis ist "gespalten":

Der Generalanwalt hält die Neuregelung des § 16 Abs. 2 ErbStG i.d.F. des Steuermissbrauchsvermeidungsgesetzes 2017 für europarechtskonform. Danach wird als Ausgangsgröße auch bei beschränkter Steuerpflicht in § 16 Abs. 2 ErbStG der Freibetrag gewährt, der jeweils bei unbeschränkter Steuerpflicht nach § 16 Abs. 1 ErbStG anwendbar wäre. Es findet aber eine Kürzung statt in dem Umfang, in dem zwischen den gleichen Personen im Zehnjahreszeitraum (vgl. § 14 ErbStG) zuvor oder gleichzeitig über das beschränkt steuerpflichtige Inlandsvermögen hinaus Vermögen zugewandt wurde.

Demgegenüber hält der Generalanwalt die Regelung des § 10 Abs. 6 S. 2 ErbStG in der vorliegenden Konstellation für europarechtswidrig. Danach werden Pflichtteilsverbindlichkeiten wegen ausschließlich rechtlichen, aber nicht wirtschaftlichen Zusammenhangs vom Inlandsvermögen nicht mehr als Schulden bei bloßer beschränkter Steuerpflicht abgezogen. Im Vorlagefall wirkte sich dies sehr ausgeprägt aus, weil der Erblasser seine Ehefrau und ein Kind enterbt hatte (wohl mit Steuerplanung im Voraus!) und das als Alleinerbe eingesetzte andere Kind damit sehr hohen Pflichtteilsansprüchen vorwiegend am steuerpflichtigen Inlandsvermögen (Grundbesitz in Deutschland, bei Wohnsitz aller Beteiligten in Österreich, ohne Erbschaftsteuer dort seit 1.1.2008!) ausgesetzt war.

Die Entscheidung des EuGH bleibt abzuwarten. Zumeist wird aber den Schlussanträgen des Generalanwalts gefolgt.

Zur EU-ErbVO ist eine, ggf. noch durch Revision beim BGH zu prüfende, sehr markante Entscheidung ergangen (OLG Köln v. 22.4.2021 – 24 U 77/20): Ein britischer Staatsangehöriger mit gewöhnlichem Aufenthalt in Deutschland hatte von der nach Art. 22 EU-ErbVO möglichen Rechtswahl zu seinem britischen Staatsangehörigkeitsrecht Gebrauch gemacht. Nach der Sachverhaltsaufklärung im Instanzenzug wies er keine aktiven Berührungspunkte mehr zu der britischen bzw. dort englischen Rechtsordnung seit längerem auf, bis eben auf die beibehaltene Staatsangehörigkeit.

Nach Angreifen der testamentarischen Regelung durch die Pflichtteilsberechtigten wurde die Rechtswahl vom OLG als rechtsmissbräuchlich und zugleich als Verstoß gegen den deutschen Ordre Public eingestuft, weil wohl ihre zumindest beherrschende Motivation die Ausschaltung von Pflichtteilsansprüchen war. In manchen Fällen kann die Rechtswahl aber auch dazu dienen, z.B. die erbrechtliche Anerkennung nur in einer Rechtsordnung geltender Rechtsinstitute (wie etwa des britischen Trusts, der in Deutschland erbrechtlich unzulässig wäre!) zu erreichen. Auch hier bleibt der weitere Verfahrensgang abzuwarten.

Die EU-ErbVO lässt aber die Rechtswahl zum Staatsangehörigkeitsrecht aus dem Aufenthaltsrecht heraus zu, umgekehrt – gerade wegen Bedenken mit Blick auf die Ausschaltung von Pflichtteilsberechtigten – eben nicht die Rechtswahl vom etwa im Einzelfall einmal aufgrund engerer Bezüge des Erblassers anwendbaren Staatsangehörigkeitsrecht (Art. 21 Abs. 2 EU-ErbVO) zum Aufenthaltsrecht. Dann überrascht schon, dass gerade eine unmittelbar in der EU-ErbVO vorgesehene Rechtswahl nach Art. 22 EU-ErbVO allein aus wertenden Gesichtspunkten nicht anzuerkennen sein sollte. Es ist auch zweifelhaft, ob die verfassungsrechtliche Vorgabe an den innerdeutschen Gesetzgeber zur Bewahrung des Pflichtteilsrechts u.a. für Eltern im deutschen Erbrecht auf internationale Sachverhalte, zudem nach Gegenzeichnung eines damit völkerrechtlich verbindlichen, supranationalen Vertrages, ohne Weiteres auch nur nach ihren Rechtsgedanken übertragen werden kann. Zu einem grundsätzlich ähnlichen Sachverhalt mit Rechtswahl ist in Österreich genau umgekehrt, nämlich gegen einen Ordre Public Verstoß, entschieden worden (OGH Wien v. 25.2.2021 – 2 Ob 214/20i).

Ggf. müsste der nationale Gesetzgeber handeln, wie zuletzt im gleichen Kontext in Frankreich durch Gesetz vom 24.8.2021 geschehen, i.E. zugunsten einer Vorwegbefriedigung ggf. überquotal am französischen Nachlass.

Zerberus meint: Internationale Sachverhalte bleiben spannend. Die Kollision zwischen Europarecht und nationalem Recht, ob nun Steuerrecht, Zivilrecht oder gar Verfassungsrecht, ist im Einzelfall aus der Ex-Ante-Sicht nicht immer prognostizierbar.

ZErb 12/2021, S. 0

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