Keine Zustimmung verdient die Entscheidung des BGH dagegen, insoweit der Eindruck erweckt wird, dass jedes Zurückbleiben der einschlägigen Auslandsbestimmungen hinter dem Vorbild des deutschen Pflichtteilsrechts einen ordre public Verstoß begründe, dem durch volle Anwendung des deutschen Pflichtteilsrechts abzuhelfen ist.
Das BVerfG begründet die gebotene Mindestbeteiligung von Kindern am Nachlass gerade im Sinne einer verfassungsrechtlichen Institutsgarantie, deren konkrete Ausfüllung mit einem weiten Ermessensspielraum dem Gesetzgeber obliegt, was im Grundsatz auch der BGH zur Kenntnis nimmt. Hat schon der deutsche Gesetzgeber einen weiten Ermessensspielraum, muss dies auch vor der gebotenen engen Auslegung des ordre public Vorbehalts (siehe vorstehend Nr. 1) erst recht für Vorschriften des Auslandsgesetzgebers gelten – ein ordre public Verstoß ist nur dann anzunehmen, wenn im konkreten Einzelfall das nach dem deutschen ordre public zwingend gebotene Mindestmaß unterschritten wird. Dieses ist mit der einfachgesetzlichen Ausgestaltung des Pflichtteilsrechts nicht deckungsgleich und wäre im Einzelfall zu bestimmen. Hierdurch ergibt sich dann gleichzeitig auch die Rechtsfolge eines ordre public Verstoßes: Die bestehende Lücke ist so auszufüllen, dass ein gerade noch dem ordre public entsprechendes Ergebnis erzielt wird.
Zur quantitativen Untergrenze hatte der BGH sich nicht zu äußern, da jedenfalls das völlige Fehlen eines Pflichtteilsanspruchs einen ordre public Verstoß begründet und auf Ebene des Auskunfts- und Wertermittlungsanspruchs nach § 2314 Abs. 1 BGB über den Umfang der Partizipation am Nachlass nicht zu entscheiden war. Gleichwohl wird durch den für notwendig befundenen und nicht näher eingeschränkten Rückgriff auf das deutsche Pflichtteilsrecht der Eindruck erweckt, maßgeblich für den ordre public Verstoß sowie die Lückenfüllung sei das deutsche Pflichtteilsrecht in vollem Umfang, d.h. einschließlich der entsprechenden vollen Pflichtteilsquoten. Dies ist abzulehnen. Sieht die ausländische Rechtsordnung eine geringere Beteiligung am Nachlass vor, ist dies nur insoweit schädlich, als das für den deutschen ordre public zwingend erforderliche Mindestmaß unterschritten würde.
Ebenso abzulehnen ist die pauschale Aussage des BGH, dass die Inheritance Provision 1975 oder ähnliche Ersatzmechanismen generell nicht geeignet seien, den fehlenden Pflichtteil eines Kindes zu kompensieren. Im Rahmen des Art. 35 EuErbVO kommt es richtigerweise darauf an, dass ein im konkreten Einzelfall mit dem deutschen ordre public unvereinbares Ergebnis besteht. Ein solches begründet der BGH in seiner Entscheidung auch korrekt damit, dass dem Anspruchsteller nach englischen Recht schon aufgrund des fehlenden domiciles in England oder Wales keine Ansprüche zukamen. Zu weit geht es dagegen, die Anwendung englischen Rechts generell zu versagen mit der Begründung, dieses sehe gerichtliches Ermessen vor und sei von zahlreichen Faktoren des Einzelfalls abhängig. Dies liefe letztlich auf eine abstrakte Prüfung des Auslandsrechts hinaus, die im Rahmen des orde public gerade nicht erfolgen darf. Zeigt die konkrete Anwendung des ausländischen Rechts, dass ein unzureichender Pflichtteil durch andere Regelungen, etwa des Unterhaltsrechts, kompensiert wird, scheidet ein ordre public Verstoß daher aus, und zwar auch dann, wenn die Anwendung ausländischen Rechts ermessensabhängig ist oder von unbestimmten Rechtsbegriffen abhängt. Das gilt erst recht, wenn diese Rechte sogar noch über das deutsche Pflichtteilsrecht hinausgehen und dem Berechtigten etwa eine Beteiligung am Nachlass im Sinne eines Noterbenrechts einräumen. Es verwundert vor diesem Hintergrund, dass das OLG – nunmehr durch den BGH bestätigt – auch eine Kompensation durch Noterbenrechte ausdrücklich ausschloss.
Zuletzt äußert die Entscheidung sich ebenso wenig wie der Beschluss des BVerfG vom 19.4.2005 dazu, ob auch ein zwingender Mindestbestand des Pflichtteils von Ehegatten oder Eltern anzunehmen ist.