Mit seinem Urt. v. 29.6.2022 hat der BGH bejaht, dass in der Anwendung englischen Erbrechts auf den Nachlass eines in Deutschland lebenden Erblassers ein Verstoß gegen den deutschen ordre public zu sehen ist, soweit hierdurch Kindern des Erblassers der ihnen nach der Rechtsprechung des BVerfG zustehende, unentziehbare und bedarfsunabhängiger Pflichtteilsanspruch entzogen wird (BVerfG, Beschl. v. 19.4.2005 – 1 BvR 1644/00) und ein hinreichender Inlandsbezug besteht. Dem kann nur eingeschränkt gefolgt werden.
Jedenfalls für den entschiedenen Fall des völligen Ausschlusses von Kindern von einer Partizipation am Nachlass muss dem BGH im Ergebnis zugestimmt werden. Durch die besondere verfassungsrechtliche Verankerung des Pflichtteilsrechts unterscheidet sich Deutschland gerade von den Rechtsordnungen Österreichs, Italiens und Frankreichs, deren höchste Gerichte einen ordre public Verstoß nach eigenem Recht bislang ablehnen. Hier hätte es allerdings einer eingehenderen Auseinandersetzung mit der Reichweite der Rechtsprechung des BVerfG bedurft, die auch vor dem Hintergrund der Bedeutung der EuErbVO nicht uneingeschränkt auf Auslandssachverhalte übertragen werden kann.
Nicht gefolgt werden kann dem BGH insoweit er durch seine Entscheidung den Eindruck erweckt, jedes Zurückbleiben des Auslandsrechts hinter dem deutschen Pflichtteilsrecht begründe einen ordre public Verstoß. Vielmehr ist in jedem konkreten Einzelfall das nach dem deutschen ordre public zwingend gebotene Mindestmaß der Nachlassbeteiligung zu bestimmen, das gerade nicht mit der einfachgesetzlichen Ausgestaltung des deutschen Pflichtteilsrechts korrespondieren muss. Erst wenn durch die konkrete Anwendung des Auslandsrechts dieses Mindestmaß unterschritten wird, liegt ein ordre public Verstoß vor. Eine abstrakte und vom konkreten Anwendungsergebnis losgelöste Prüfung des anwendbaren Auslandsrechts auf seine Vereinbarkeit mit deutschem Recht, wie sie hier der BGH (jedenfalls auch) vornimmt, verbietet sich dagegen. Die durch den ordre public Verstoß entstehende Lücke wird dann durch ein gerade noch den Mindestvorgaben des deutschen ordre public entsprechendes Ergebnis aufgefüllt.
In der Gestaltungspraxis wird die Wahl ausländischen Rechts zur Pflichtteilsvermeidung oder -reduzierung künftig nur noch sehr eingeschränkt möglich bzw. mit erheblichen Risiken verbunden sein, sodass – jedenfalls bei starkem Inlandsbezug – zusätzlich oder alternativ auf andere Möglichkeiten der Pflichtteilsbegrenzung wie den Pflichtteilsverzicht oder Übertragungen im Wege der vorweggenommenen Erbfolge zuzugreifen ist.