Karlheinz Muscheler
2024
617 Seiten, 89,90 EUR
Duncker & Humblot, ISBN 978-3-428-19333-2
Wenn Bücher noch vor dem Vorwort mit Zitaten von Rainer Maria Rilke, Friedrich Hebbel und James Joyce beginnen, werden die Sinne des Lesers schlagartig aufgeweckt. Der Jurist, gemeinhin ein Wesen einer eigenen Art, blickt verwundert auf solch einen Einstieg, und fragt sich ganz unweigerlich, was nun mit ihm als Leser auf den nächsten Seiten des 600 Seiten umfassenden Werks geschehen wird.
Nun der Leser bleibt hier nicht lange im Unklaren. Der Verfasser, der emeritierte Professor Karlheinz Muscheler, macht überhaupt gar keinen Hehl daraus, welchen Anspruch er für dieses Werk setzt. Er möchte schlichtweg ein neues Rechtsgebiet: Die Lehre von Sterben und Tod, die sog. juristische Thanatologie (altgriechisch θάνατος thánatos "Tod") begründen. Abgeleitet aus der Soziologie (Thanato-Soziologie) und der Psychologie (Thanato-Psychologie) erläutert der Verfasser, dass dieses Buch eine juristische Betrachtung des Todes’im Einklang mit der Philosophie des Todes darstellen soll.
Dieses Werk widmet sich auf sehr geschickte, wenn auch zugleich mitunter herausfordernde Weise dem Thema Tod. Das Buch gliedert sich in vier Teile. Es handelt sich um den erzwungenen Tod, den erstrebten Tod, den eintretenden Tod und den eingetretenen Tod.
In jedem einzelnen Abschnitt nimmt der Verfasser sich die Zeit und die Genauigkeit, einen interdisziplinären Überblick der einzelnen Probleme wiederzugeben. Er selbst nennt dies "Gespräch mit anderen Wissenschaften". Dabei werden grundlegende Themen aus allen Rechtsgebieten angesprochen, im Detail aufgeschlüsselt und miteinander verglichen.
Das Interessante bei diesem Werk ist, dass es von seiner Ausrichtung her (und auch dem eigenen Anspruch entsprechend) als ein absolutes Grundlagenwerk verstanden werden kann und soll, zugleich aber in der Thematik nicht aktueller sein könnte. Allein das Kapitel Sterbehilfe, Suizid, Beihilfe zum Suizid und Tötung auf Verlangen ist gesellschaftlich höchst aktuell und wenn man es, wie der Verfasser es tut, mit einer solchen Genauigkeit seziert, zugleich äußerst anspruchsvoll. Insofern ist es gut und absolut richtig, dass Muscheler sich all diesen Themen widmet und nicht nur als Jurist eine Lösung vorgibt. Er regt stark zum Nachdenken an.
Dieses Werk wird daher in so vielen einzelnen Bereichen für die jeweilige dahinterliegende Wissenschaft einen neuen Ausgangspunkt setzen, um die damit verbundenen Themen und Probleme anzugehen, sodass dieses Buch tatsächlich Grundlegung einer juristischen (neuen) Thanatologie ist. Wenn man das Werk sodann in Gänze erfasst hat, liest man vielleicht noch einmal die Rückseite des Buchdeckels und kommt tatsächlich mitunter zu dem Ergebnis, dass der Verfasser ein "düsteres Bild" aufgezeigt hat, er gleichwohl aber dem Leser zahlreiche Vorschläge unterbreitet hat, wie sich das Bild aufhellen lassen könnte. Es liegt an uns, diese Vorschläge weiterzuentwickeln.
Insofern stellt sich gar nicht erst die Frage, ob man eine Leseempfehlung als Rezensent aussprechen sollte, man kann Jedem nur schlichtweg anraten, sich die Zeit zu nehmen und solch ein Buch (Werk) zu lesen und auf sich wirken zu lassen. Für jemanden, der selbst mitunter das eine oder andere juristische Werk niedergeschrieben hat, bleibt es ein faszinierendes’Rätsel, wie Muscheler nicht nur die Zeit, sondern auch die’Muße gefunden hat, solch ein Werk zu verfassen. Es wird’seinen Verfasser überdauern und als Grundlegung maßgeblich sein.
Dr. Pierre Plottek, Rechtsanwalt und Notar, Fachanwalt für Erbrecht, Bochum
ZErb 12
2024, S. 475 - 476