Wenn ein Erbvertrag im Verordnungssinn durch eine Vereinbarung entsteht, die Rechte an einem künftigen Nachlass begründet, ändert oder entzieht, ist noch nicht gesagt, ob die hier angesprochene Vereinbarung eine sofortige rechtliche Bindung bewirken muss. Für deutsche Erbverträge ist diese Frage nicht relevant, da sie stets mindestens eine sofort bindende vertragsmäßige Verfügung enthalten müssen. Zwar lässt dies auch das Verständnis zu, dass die erst mit dem Eintritt des Erbfalls bindende Begründung, Änderung oder Entziehung von Rechten an einem künftigen Nachlass genügt: Die Erbberechtigung eines Erben wird auch dann durch einen so verstandenen Erbvertrag begründet, wenn der Erblasser die Einsetzung lebzeitig hätte ändern können. Nach dem Sinn und Zweck der Regelung in Art. 3 Abs. 1 lit. b) EuErbVO darf hier aber nur der Mindeststandard beschrieben werden, den Verfügungen erfüllen müssen, um in den Anwendungsbereich des Art. 25 EuErbVO zu fallen:
Die Entscheidung, ob einer letztwilligen Verfügung im konkreten Fall tatsächlich eine Bindungswirkung zukommt oder nicht, weist Art. 25 EuErbVO dem anwendbaren nationalen Erbrecht zu. Um das nationale Erbrecht in den relevanten Fällen aber möglichst einschränkungslos zur Geltung zu bringen, muss der Begriff des Erbvertrags in Art. 3 Abs. 1 lit. b) EuErbVO weit ausgelegt werden. Die EuErbVO kann im Rahmen ihres kollisionsrechtlichen Regelungszwecks keiner Verfügung von Todes wegen eine Bindungswirkung (positiv) zusprechen. Dementsprechend weist Art. 25 EuErbVO diese Entscheidung dem anwendbaren nationalen Erbrecht zu. Die Verordnung würde die Bindungswirkung aber (negativ) ausschließen, wäre der Erbvertragsbegriff in Art. 3 Abs. 1 lit. b) zu eng gefasst, weil dann der Weg zu Art. 25 EuErbVO abgeschnitten wäre, der allein die Anknüpfung der Bindungswirkung zum nationalen Erbrecht enthält.
Die EuErbVO regelt daher nur den Mindeststandard, den ein Erbvertrag (im Verordnungssinn) erfüllen muss, um zur Prüfung seiner Bindungswirkung sodann an das nationale Recht verwiesen zu werden. Dass dieses möglicherweise weitergehende Voraussetzungen aufstellt, spielt dabei keine Rolle.
a) Erbverträge
Art. 3 EuErbVO lässt es also zu, dass das deutsche Recht einen engeren Erbvertragsbegriff als die EuErbVO verwendet, indem es etwa verlangt, dass ein Erbvertrag mindestens eine sofort bindende vertragsmäßige Verfügung enthält. Nur für Erbverträge, die mehrere Nachlässe betreffen, stellt Art. 25 Abs. 2 EuErbVO die weitere Zulässigkeitsvoraussetzung auf, dass ein solcher Erbvertrag nach den hypothetischen Erbstatuten sämtlicher als Erblasser mitwirkenden Vertragsparteien zulässig sein muss. Da ein deutscher Erbvertrag stets mindestens eine vertragsmäßige Verfügung enthalten muss, begründet, ändert oder beseitigt er stets eine Berechtigung an einem künftigen Nachlass und erfüllt damit die Anforderungen des Art. 3 Abs. 1 lit. b) EuErbVO an einen Erbvertrag. Als Zwischenergebnis lässt sich festhalten, dass jeder Erbvertrag im Sinn des deutschen Erbrechts einen Erbvertrag im Sinne der EuErbVO darstellt. Wenn er mehrere Nachlässe betrifft, muss allerdings die weitere Anforderung des Art. 25 Abs. 2 EuErbVO erfüllt sein.
b) Testamente
Was ergibt sich hieraus nun für Testamente? Der Wortlaut des Art. 3 Abs. 1 lit. b) EuErbVO ist hinsichtlich der formal zugelassenen Gestaltungsmittel nicht abschließend, denn er formuliert nur offen, dass Erbverträge im Verordnungssinn Vereinbarungen, einschließlich solcher aufgrund gegenseitiger Testamente, darstellen. Interessanterweise ist in der Definition des Art. 3 Abs. 1 lit. b) der Erbvertrag im deutschrechtlichen Sinn nicht einmal erwähnt, denn in Buchstabe b) wird gerade nicht ausdrücklich angeordnet, dass die geforderte Vereinbarung über Rechte an einem künftigen Nachlass auch in Vertragsform zugelassen wird. Da es keinen Grund gibt, daran zu zweifeln, dass Erbverträge (im Englischen "agreements as to succession") im Verordnungssinn auch in Vertragsform ("contract") geschlossen werden können, bestätigt dies den beispielhaften und nicht abschließenden Charakter der Beschreibung des Art. 3 Abs. 1 lit. b) EuErbVO: Wer einen Erbvertrag im Verordnungssinn schließen will, kann dies in der Form der dort ausdrücklich erwähnten gegenseitigen Testamente tun oder auf eine nicht ausdrücklich erwähnte Form, etwa einen Vertrag oder ein sonstwie gestaltetes Testament, zurückgreifen.
Es besteht hiernach keine Notwendigkeit für die deutsche Gestaltungspraxis, den Bedeutungsgehalt des Begriffs des gegenseitigen Testaments von demjenigen etwa des gemeinschaftlichen Testaments abzugrenzen. Auch die Verwendung der Pluralform ("aufgrund gegenseitiger Testamente") in Art. 3 Abs. 1 lit. b) EuErbVO muss nicht zur Testamentserrichtung in mehreren Urkunden nötigen, um die Behandlung als gemeinschaftliches Testament zu vermeiden: Art. 3 Ab...