Ein Beitrag zur Auflösung der geradezu babylonischen Sprachverwirrung um die EU-Erbrechtsverordnung
Einführung
Es sollte nicht überraschen, dass die EuErbVO erhöhte Anforderungen an ihre Leser stellt. Das Gesetzgebungsverfahren zur EuErbVO wurde nicht nur in der in Brüssel üblichen Sprachvielfalt der Beteiligten betrieben, sondern durch eine außergewöhnliche Vielstimmigkeit der Meinungen erschwert. Diese hatten ihre Ursache darin, dass die nationalen Erbrechtsordnungen so vielgestaltig sind, dass internationale Vereinheitlichungsbemühungen auf diesem Gebiet jahrzehntelang, etwa bei den Verhandlungen zum Europäischen Vollstreckungsübereinkommen von 1968, als unmöglich bezeichnet wurden. Auch in Brüssel verwenden die Beteiligten unterschiedliche Begriffe für dieselbe Sache, und selbst dort, wo sie einmal einheitliche Begriffe gebrauchen, kann sehr Unterschiedliches gemeint sein. Eine gewisse Missverständlichkeit des Verordnungstextes ergibt sich daher aus der Natur der Sache: Sie folgt aus dem grundverschiedenen Vorverständnis der Beteiligten. Oberste Regel bei der Auslegung der EuErbVO sollte daher die Vorsicht gegenüber den verwendeten Begriffen sein.
Seit dem Inkrafttreten der EU-Erbrechtsverordnung (EuErbVO) im August 2012 war sie bereits Gegenstand vieler Aufsätze, und je mehr Fachbeiträge erscheinen, desto deutlicher zeigt sich eine Sprachverwirrung um den Verordnungstext. Der Beitrag unternimmt den Versuch, der einsetzenden Verwirrung zu Praxisfragen entgegenzuwirken, insbesondere im Zusammenhang mit gemeinschaftlichen Testamenten sowie Inlandsimmobilien von Ausländern und Auslandsimmobilien von Inländern.
I. Was ist ein Mitgliedstaat?
Die EuErbVO gilt nicht für die EU-Mitgliedstaaten Dänemark, Irland und das Vereinigte Königreich, wie die Erwägungsgründe 82 und 83 bestätigen. Innerhalb der EuErbVO wird der Begriff des Mitgliedstaats – anders als noch im Kommissionsentwurf von 2009 oder in der Brüssel-IIa-Verordnung – nicht auf die teilnehmenden Staaten eingeschränkt. Im Umkehrschluss und mit Blick auf den Wortlaut der Erwägungsgründe 82 und 83, die Dänemark, Irland und das Vereinigte Königreich ausdrücklich als Mitgliedsstaaten bezeichnen, könnte man nun annehmen, dass diese Staaten stets mitbezeichnet werden, wo die EuErbVO den Begriff des Mitgliedstaats verwendet. Diese Auslegung dürfte jedoch kaum dem Willen des EU-Gesetzgebers entsprechen. Sie hätte zur Folge, dass etwa erbrechtliche Entscheidungen aus England von den teilnehmenden Mitgliedstaaten nach Art. 39 Abs. 1 EuErbVO anzuerkennen wären, obwohl englische Stellen den Entscheidungen aus dem Rest des Kontinents die Anerkennung versagen können. Denkbar wären auch negative Zuständigkeitskonflikte, etwa dann, wenn ein Erblasser seinen letzten gewöhnlichen Aufenthalt im Verordnungssinn in England hatte, er aus dortiger Sicht aber kein englisches domicile besaß: Die staatlichen Stellen in den durch die EuErbVO verpflichteten Mitgliedstaaten müssten sich wegen des englischen gewöhnlichen Erblasseraufenthalts auf subsidiäre und auf Notzuständigkeiten nach Art. 10 und 11 EuErbVO beschränken, obwohl auch englische Stellen mangels domicile keine umfassende Tätigkeit entfalten dürfen. Man wird daher den Wortlaut einschränkend auszulegen haben und den Begriff des Mitgliedstaats auf die EU-Staaten mit Ausnahme von Dänemark, Irland und dem Vereinigten Königreich beschränken müssen.
II. Testamente, die Erbverträge begründen
1. Fragestellung
Noch kniffeliger als das Verständnis des Begriffs des "Mitgliedstaats" ist die Auslegung der Begriffe "Erbvertrag", "gemeinschaftliche" und "gegenseitige Testamente", wie sie die Verordnung verwendet. Das Verständnis ist für den deutschen Erbrechtspraktiker essenziell, denn allein Art. 25, der mit "Erbverträge" überschrieben ist, geht auf eine mögliche erbrechtliche Bindungswirkung ein. In Art. 24, der die kollisionsrechtliche Behandlung von "Verfügungen von Todes wegen außer Erbverträgen" regelt, kommt eine Bindungswirkung weder im Wortlaut noch in der Sache vor. Daher stellt sich die Frage, ob deutsche gemeinschaftliche Testamente im Sinne der §§ 2265 ff BGB, die bekanntlich gemäß § 2271 BGB eine Bindungswirkung wechselbezüglicher Verfügungen kennen, dem Art. 24 oder Art. 25 EuErbVO unterfallen?
Hierbei sollte kein Zweifel aufkommen: Wären gemeinschaftliche Testamente nach Art. 24 EuErbVO anzuknüpfen, wäre ihre Bindungswirkung künftig nicht mehr geschützt. Ein aus einem gemeinschaftlichen Testament an wechselbezügliche Verfügungen gebundener üb...