Somit lässt sich zusammenfassend im Kontext der Rechtsbeziehungen zwischen Deutschland und der Türkei festhalten, dass sich bei Fortbestand des deutsch-türkischen Nachlassabkommens auch ab 17.8.2015 an der derzeitigen Rechtslage nichts ändern wird. Es wird auch weiterhin die Nachlassspaltung hinzunehmen sein und auch die ausschließliche gerichtliche Zuständigkeit des Heimatstaates. Es stellt sich jedoch die Frage, ob mit Blickrichtung auf die beabsichtigte Rechtsvereinheitlichung auf europäischer Ebene, auch für die Rechte türkischer Erblasser und deren gesetzlichen Erben eine Vereinheitlichungsmöglichkeit gefunden wird, sei es durch zukünftige restriktivere Auslegung des § 15 NA, was jedoch bislang nur in der Rechtsliteratur vertreten wird. Sowohl die Rechtsprechung in Deutschland als auch in der Türkei bleiben beim Wortlaut des § 15 NA.
Eines der Kritikpunkte, die meines Erachtens durchaus berechtigt sind, lautet, dass durch die Anwendung des § 15 NA, der die Zuständigkeit regelt, bei streitigen Verfahren im Zusammenhang mit erbrechtlichen Fragen, die Mobiliarnachlässe betreffen, die Gerichte des Staates zuständig sind, denen der Erblasser zur Zeit seines Todes angehörte. Bei unbeweglichem Nachlass sind stets die Gerichte des Staates zuständig, in denen der Nachlass belegen ist. Die Regelung ist tatsächlich zu Recht in der Kritik, führt sie doch durch ihre ausschließliche Heimatzuständigkeit zum Ergebnis, dass im Falle eines türkischen Erblassers, der bewegliches und unbewegliches Vermögen in Deutschland hat, hinsichtlich des beweglichen Vermögens eine ausschließliche Zuständigkeit türkischer Gerichte begründet wird, obwohl im Einzelfall keinerlei Bezug zur Heimat vorliegen kann, außer die Staatsangehörigkeit.
Die Erben, die sich um das Erbe, aus welchen Gründen auch immer, streiten, müssen, auch wenn sie alle in Deutschland leben, selbst deutsche Staatsangehörige sind, vor ein für sie ausländisches Gericht. Noch brisanter wird es, wenn die Erben nicht nur nicht türkische Staatsangehörige sind, sondern mitunter auch die Sprache gar nicht beherrschen. Insbesondere bei binationalen Ehen dürfte dies in der Praxis auf zahlreiche Folgeprobleme stoßen. Dieses Beispiel verdeutlicht, dass das Nachlassabkommen für die heutigen Beziehungen der Türken und der Deutschen zueinander nicht mehr zeitgemäß ist. Eine Vereinheitlichung wäre auf der Basis möglich, wenn das längst überholte Abkommen aus dem Jahre 1929 gekündigt wird, um auf diesem Wege eine Vereinheitlichung der Rechtspraxis zu erreichen.
In der Literatur werden einige dieser Kritikpunkte durchaus vertreten und das bilaterale Abkommen zwischen Deutschland und der Türkei als überholt betrachtet. Jedoch gibt es Meinungen, die im Zusammenhang mit den deutsch-türkischen Erbfällen keinen Anlass zur Kündigung des bilateralen Abkommens sehen. Man könne in der Regel davon ausgehen, dass sich die rechtlichen Beziehungen in den meisten deutsch-türkischen Erbfällen auf diese beiden Staaten beschränken. Das Verhältnis zur Erbrechtsverordnung stelle sich daher gar nicht. Bestätigt wird diese Meinung auch damit, dass auch bei Anwendung türkischen Rechts es zu keinen Rechtsnachteilen komme, da in der Türkei ein äußerst modernes Erbrecht gelte, das den gesellschaftlichen Anforderungen in Deutschland entspreche. Somit würden bei der Anwendung türkischen Rechts keine Probleme in der Praxis auftreten.
Im Ergebnis wird als Pro-Argument für die Beibehaltung der bilateralen Regelungen der Entscheidungseinklang im deutsch-türkischen Verhältnis gesehen, da bei Anwendung der Europäischen Erbrechtsverordnung seitens deutscher Gerichte bei einem türkischen Erblasser mit Aufenthalt in Deutschland deutsches Recht angewendet werden würde, aber türkisches recht gilt aus türkischer Perspektive.
Letztlich müsste man nun im Einzelfall prüfen, ob man in den deutsch-türkischen Nachlassfällen – bei unterstellter Anwendung der Europäischen Erbrechtsverordnung – zu anderen Ergebnissen gelangt, als unter Geltung des deutsch-türkischen Nachlassabkommens. ME kann die Frage, ob es sinnvoll ist, die Aufhebung des deutsch-türkischen Nachlassabkommens zu fordern, nicht pauschal beantwortet werden. Es kommt zum einen auf den konkreten Einzelfall an und darauf, was bei Anwendung des türkischen Erb- und Güterrechts an Rechtsnachteilen konkret festzustellen ist. Da in der bisherigen kursorischen Prüfung ein gewisser Gleichlauf der Ergebnisse zu verzeichnen ist, kann eine generelle Schlechterstellung der Erben bei Anwendung des deutsch-türkischen Nachlassabkommens nicht festgestellt werden. Zum anderen ist aufgrund der Globalisierung und der Tatsache, dass sich die deutsch-türkischen Erbfälle durchaus auch auf andere Länder erstrecken können (Immobilienbesitz im europäischen Ausland), sodass die Prüfung sich nicht mehr nur noch auf deutsches und türkisches Recht beschränkt, eine globalere Sichtweise erforderlich.
Solange das deutsch-türkische Nachlassabkommen jedoch Gültigkeit hat, gilt auch ab 17.8...