Leitsatz
Formulieren Ehepartner in einem ehegemeinschaftlichen Testament, in dem sie sich zunächst gegenseitig zu Alleinerben und die gemeinsamen Kinder zu Schlusserben eingesetzt haben, dass der überlebende Ehegatte "die Verfügungsgewalt über das gemeinsame Vermögen haben" soll, so handelt es sich hierbei nicht um eine sog. Freistellungsklausel.
OLG Bamberg, Beschluss vom 6. November 2015 – 4 W 105/15
Sachverhalt
Die vier Beteiligten sind die gemeinsamen Kinder aus der Ehe des Erblassers und seiner am xx.xx.2014 vorverstorbenen Ehefrau. In einem gemeinschaftlichen Testament vom 16.6.1992 (künftig auch nur: Testament I oder Ausgangstestament) hatten sich die Ehegatten gegenseitig zu Alleinerben und ihre vier Kinder als Schlusserben eingesetzt. Die Urkunde lautet auszugsweise:
Zitat
"Wir, die Eheleute ... setzen uns gegenseitig als Alleinerben ein. Das heißt, der überlebende Ehegatte ist Alleinerbe und hat die Verfügungsgewalt über das gemeinsame Vermögen. "
Zitat
Für den Fall des Ablebens des 2. Ehegatten fällt das gesamte gemeinsame Vermögen den Kindern aus unserer Ehe zu gleichen Teilen zu.
Zitat
Das elterliche Anwesen ... soll als Gesamtheit erhalten bleiben.“
In einer maschinenschriftlichen "Ergänzung zum Testament vom 16.6.92" aus dem Jahre 2010 (im folgenden nur: Ergänzung I), die vom Erblasser verfasst und erstellt worden war, sind zahlreiche abweichende Anordnungen der Eheleute niedergelegt. Die einleitende Bestimmung lautet:
Zitat
"Nach unserem Ableben, ev. zuvor, wenn es der gesundheitliche Zustand verlangt, soll H. (Anmerkung d. Senats: gemeint ist der Antragsgegner) das Anwesen und dessen Verwaltung übernehmen. Er hat am meisten dafür getan. Als Wohnung sollen unsere Wohnräume ihm dienen."
Eine gute Woche vor seinem Tod hatte der Erblasser am xx.xx.2015 ein notarielles Testament (fortan: Testament II) errichten lassen, in dem er unter Widerruf der "Verfügungen des ... Testaments vom 16.6.1992 hinsichtlich der Schlusserbeneinsetzung" den Antragsgegner (künftig nur: AG) zum Alleinerben einsetzte sowie weitere ergänzende Anordnungen traf.
Bereits im Sommer 2014 hatte der Erblasser auf einer Ablichtung des gemeinschaftlichen Testaments am Ende des Textes handschriftlich vermerkt:
Zitat
"Für den Fall des Ablebens eines der Kinder fällt sein Erbteil zu 100% seinen Kindern zu."
Dieser vom Erblasser unterschriebene Nachtrag (nachfolgend nur: Ergänzung II) datiert auf 6.8.2014.
Beide Antragsteller (fortan nur: AS) haben die Erteilung eines gemeinschaftlichen Erbscheins beantragt, der die Beteiligten als – im Ausgangstestament berufene – Miterben zu je 1/4 ausweist.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Sachverhaltsdarstellung der angefochtenen Entscheidung des Nachlassgerichts Bezug genommen.
Das Amtsgericht hat festgestellt, dass die Voraussetzungen für die Bewilligung des beantragten Erbscheins vorliegen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde des AG, der das Nachlassgericht nicht abgeholfen hat.
Aus den Gründen
Die gemäß § 58 Abs. 1 FamFG statthafte Beschwerde ist auch im übrigen zulässig (§§ 59 ff FamFG). In der Sache aber kann das Rechtsmittel keinen Erfolg haben, weil es offensichtlich unbegründet ist. Das Nachlassgericht ist zu Recht und auch mit im wesentlichen zutreffender Begründung zu dem Ergebnis gelangt, dass sich die Erbfolge nach dem gemeinschaftlichen Testament der Ehegatten richtet, weil die darin angeordnete Schlusserbeneinsetzung als wechselbezüglich im Sinne des § 2270 BGB mit der eigenen Einsetzung des Erblassers als Alleinerbe seiner Ehefrau anzusehen ist. Infolgedessen war der Erblasser wegen der mit dem Ableben der Ehefrau eingetretenen Bindung an die gemeinsame Schlusserbenbestimmung (§ 2271 Abs. 2 BGB) daran gehindert, hiervon – nach dem Maßstab des § 2289 Abs. 1, S. 2 BGB (analog) – abweichende Anordnungen zu treffen (vgl. Palandt, 74. Auflage, Rn 12 ff zu § 2271 BGB).
1. Auslegungsregeln
Das Beschwerdevorbringen steht in mehrfacher Hinsicht nicht in Einklang mit den bei einer Fallgestaltung wie hier maßgebenden Grundsätzen für die Auslegung letztwilliger Verfügungen (vgl. zunächst Palandt/Weidlich, 74. Aufl., Rn 1, 2 zu § 2084 BGB).
a) Danach sind bei der Auslegung neben dem gesamten Text des Testaments auch Umstände außerhalb der Urkunde heranzuziehen und zu würdigen, wobei solche Umstände vor oder nach der Testamentserrichtung liegen können. Aber auch insoweit hat es ausschließlich auf den Willen des Erblassers im Zeitpunkt der Testamentserrichtung anzukommen. Danach eingetretene Umstände wie etwa spätere Willensäußerungen sind daher nur beurteilungserheblich, soweit sich daraus Rückschlüsse auf die Einstellung des Testators zur Zeit der Testamentserrichtung ziehen lassen (BayObLG NJW 1996, 133).
Im Hinblick auf die Formbedürftigkeit letztwilliger Verfügungen muss ein auf Umstände außerhalb der Urkunde gestütztes Auslegungsergebnis im Text der Verfügung einen zumindest unvollkommenen Ausdruck gefunden haben (sog. Andeutungstheorie – vgl. etwa BGH NJW 1966, 201 f; FamRZ 1972, 201 f; FamRZ 1972, 561 ff).
b) Dementsprechend ist auc...