Eine Wechselbezüglichkeit kann sich aus einer ausdrücklichen Anordnung im Testament ergeben. Bei privatschriftlichen Testamenten ist allerdings das Problembewusstsein der Testierenden nicht so weit entwickelt, dass das Problem der Wechselbezüglichkeit überhaupt bekannt wäre, sodass hier in aller Regel eine Auslegung erforderlich ist. Letztlich helfen die Auslegungsregeln des § 2270 Abs. 2 BGB.
3.2.1
a) Wie bereits erwähnt, spricht allein die Wahl der Form des gemeinschaftlichen Testaments noch nicht für die Wechselbezüglichkeit einer Verfügung. Auch der Grad der Verwandtschaft der Schlusserben zum Erblasser besagt darüber zunächst einmal nichts. Das in der Praxis immer noch so beliebte Berliner Testament enthält eine denkbare Wechselbezüglichkeit im Verhältnis der Verfügungen die gegenseitige Erbeinsetzung betreffend, aber auch im Verhältnis der Schlusserbeneinsetzung des Überlebenden zur eigenen Erbeinsetzung durch den erstverstorbenen Ehegatten und im Verhältnis der Schlusserbeneinsetzung des Überlebenden zur Schlusserbeneinsetzung des erstverstorbenen Ehegatten.
Ein Indiz gegen eine Wechselbezüglichkeit auch in diesen Fällen ist beispielsweise, dass die Zuwendung des einen Ehegatten an den anderen hinter dessen gesetzlichem Erbteil oder sogar Pflichtteil zurückbleibt, oder der Umstand, dass ein Ehegatte den anderen zum Vollerben, dieser ihn aber nur zum Vorerben einsetzt, eine Gestaltungsvariante, die gerade im Bereich der Geschiedenentestamente häufig anzutreffen ist.
3.2.2
b) Das OLG München hatte die Frage zu entscheiden, ob eine Verfügung in einem gemeinschaftlichen Testament, in dem sich die Eheleute gegenseitig zu Alleinerben und die gemeinsamen Kinder zu Schlusserben einsetzen, als wechselbezüglich anzusehen ist. Auch hier war es so, dass das gemeinschaftliche Testament keine klaren und eindeutigen Anordnungen zur Wechselbezüglichkeit enthielt, sodass nach den allgemeinen Auslegungsgrundsätzen und für jede Verfügung gesondert die Frage zu ermitteln war, ob eine Wechselbezüglichkeit anzunehmen war oder nicht.
Erst wenn die Ermittlung des Erblasserwillens weder die gegenseitige Abhängigkeit noch die gegenseitige Unabhängigkeit der beiderseitigen Verfügungen ergibt, ist gemäß § 2270 Abs. 2 BGB im Zweifel Wechselbezüglichkeit anzunehmen, wenn sich die Ehegatten gegenseitig bedenken oder wenn dem einen Ehegatten vor dem anderen Ehegatten eine Zuwendung gemacht und für den Fall des Überlebens des Bedachten eine Verfügung zugunsten einer Person getroffen wird, die mit dem anderen Ehegatten verwandt ist oder ihm sonst nahesteht.
Das OLG München hat die letztwillige Verfügung auf die Lebenssituation und Interessenlage hin überprüft, die im Zeitpunkt der Testierung vorlag. Es hat sich ergeben, dass der Ehemann im Zeitpunkt der Testierung bereits schwer erkrankt war, so dass davon auszugehen war, dass der Ehemann deutlich vor seiner Ehefrau sterben würde. Ferner sei den Eheleuten damals schon bewusst gewesen, dass die "Wechselfälle des Lebens Biografien radikal verändern können".
So lag die Annahme nahe, dass eine Wechselbezüglichkeit der Schlusserbeneinsetzung gegeben war, indem der Ehemann seine Ehefrau zur Alleinerbin einsetzt und seine eigenen Kinder in diesem Falle enterbt. Dies sei nur deswegen erfolgt, weil auch der andere Ehegatte im Gegenzug als Schlusserben des beiderseitigen Vermögens die Kinder eingesetzt habe. Der Leitsatz der Entscheidung dürfte allerdings im Ergebnis zu weit gefasst sein:
"Wer sein Vermögen letztendlich an die eigenen Kinder weitergeben will, sie aber trotzdem für den ersten eigenen Todesfall enterbt, tut das im Bewusstsein und Vertrauen darauf, dass wegen der Schlusserbeneinsetzung des anderen Ehegatten das gemeinsame Vermögen eines Tages auf die Kinder übergehen wird."
c) Die Auslegungsregel des § 2270 BGB
Nach dieser Auslegungsregel ist eine Wechselbezüglichkeit im Zweifel anzunehmen, wenn sich Ehegatten gegenseitig bedenken und für den Fall des Überlebens des Bedachten eine Verfügung zugunsten einer Person getroffen wird, die mit dem anderen Ehegatten verwandt ist oder ihm sonst nahesteht.
Diese Auslegungsregel greift erst dann ein, wenn die Erforschung des Willens beider Ehegatten durch Auslegung trotz Erschöpfung aller Möglichkeiten bezüglich der Wechselbezüglichkeit kein eindeutiges Ergebnis gebracht hat.
In der Praxis wird gelegentlich übersehen, dass die Auslegungsregel für eine Wechselbezüglichkeit nur dann streitet, wenn für den Fall des Überlebens des Bedachten eine Verfügung zugunsten einer Person getroffen wird, die mit dem anderen Ehegatten verwandt ist. Trifft also ein Ehepaar eine letztwillige Verfügung dahingehend, dass man sich gegenseitig zu alleinigen Erben einsetzt und Schlusserbe ein entfernter Verwandter des Ehemanns wird, so wäre eine Wechselbezüglichkeit im Sinne des § 2270 Abs. 2 BGB nur dann anzunehmen, wenn die Ehefrau länger lebt, nicht aber, wenn der Ehemann Längerlebender ist...