3.5.2.1
aa) Auch der Widerruf stellt eine Verfügung von Todes wegen dar. Daher ist für den Ehegatten, der den Widerruf ausspricht, Testierfähigkeit zu fordern. Damit steht fest, dass Geisteskranke oder Geistesschwache nicht mehr widerrufen können (§ 2229 Abs. 4 BGB).
Die Erklärung des Widerrufs als solche kann nicht durch einen Stellvertreter oder einen gesetzlichen Vertreter (§§ 2226 Abs. 1 Satz 1, 2064 BGB) erfolgen. Zuzustellen ist die Urschrift oder Ausfertigung.
3.5.2.2
bb) Ein häufig in der Praxis anzutreffendes Problem ist die fehlende Geschäftsfähigkeit des Widerrufsempfängers. Gelegentlich muss eine etwa wechselbezüglich erklärte Erbeinsetzung von Ehegatten widerrufen werden, um zu verhindern, dass ein nicht mehr testier- oder geschäftsfähiger Ehegatte bei Vorversterben des anderen Ehegatten (etwa wegen einer schweren Erkrankung) Alleinerbe wird, da dann unter Umständen das gesamte Vermögen für die Pflege des Längerlebenden eingesetzt werden muss. Auch eine ebenfalls wechselseitig erklärte Schlusserbeneinsetzung würde dann letztlich verbindlich, wenn der Längerlebende an einer Änderung gehindert wäre. Kann aber gegenüber einem Geschäftsunfähigen noch der Widerruf einer wechselseitigen Verfügung erklärt werden, um die Bindungswirkung zu beseitigen?
Wie bereits ausgeführt, müsste die notariell beurkundete Widerrufserklärung dem anderen Ehepartner zugehen. Falls ein Zugang wegen fehlender Geschäftsfähigkeit nicht mehr möglich ist, ist diesbezüglich ein Betreuer zu bestellen, der die Widerrufserklärung entgegennimmt.
Das LG Leipzig hatte die Konstellation zu entscheiden, ob für die Entgegennahme eines Widerrufs auch eine Generalvollmacht des Sohnes ausreicht. Das Landgericht lehnte den Antrag auf Betreuerbestellung ab und sah keine Notwendigkeit, hier noch einen Betreuer zu bestellen, § 1897 Abs. 3 BGB. Alsdann wurde die Widerrufserklärung vom Bevollmächtigten entgegengenommen. Das Nachlassgericht sah die Rechtslage anders und meinte, der Zugang sei nicht wirksam erfolgt. Hier hätte nach Auffassung des Nachlassgerichts ein gerichtlich bestellter Betreuer den Widerruf entgegennehmen müssen. Das Beschwerdegericht wiederum war der Auffassung, der Zugang an den Vorsorgebevollmächtigten sei ausreichend gewesen.
Auf die mit diesen unterschiedlichen Meinungen verbundenen Rechtsunsicherheiten hat Keim zutreffend hingewiesen.
Nahezu unbestritten ist, dass der gesetzliche Vertreter gem. § 131 Abs. 1 BGB auch den Widerruf einer wechselbezüglichen Verfügung eines gemeinschaftlichen Testaments entgegennehmen kann. Die Vertretungsmacht des Betreuers, die als Aufgabenstellung die Regelung aller vermögensrechtlichen Angelegenheiten erfasse, reiche dazu aus.
Eine abweichende Meinung lehnt diese Möglichkeit ab. Nach dieser Auffassung steht die eingetretene Testierunfähigkeit praktisch dem Tode des Ehegatten gleich. Eine Betreuerbestellung zum Zwecke der Entgegennahme des Widerrufs widerspreche den Interessen des geschäftsunfähigen Ehegatten, sodass sie nicht erfolgen dürfe. Folgt man dieser Meinung, wäre also ein Widerruf wechselbezüglicher Verfügungen mit dem Eintritt der Geschäfts-/Testierunfähigkeit des Ehegatten unmöglich und die Bindungswirkung wäre endgültig.
Keim weist zutreffend darauf hin, dass die bloße Entgegennahme der Widerrufserklärung keine eigene Entscheidung des Empfängers über die Änderung der eigenen Erbfolge verlange, dies sei vielmehr eine sich von selbst ergebende Rechtsfolge.
Auch im Recht des Erbvertrags ist es möglich, nach § 2298 Abs. 2 Satz 2 BGB den Rücktritt bei einem geschäftsunfähigen Vertragspartner zu erklären, jedenfalls dann, wenn kein abweichender Wille der Vertragsschließenden anzunehmen sei. Demzufolge – diese Auffassung überzeugt – muss auch der Widerruf wechselseitiger Verfügungen eines gemeinschaftlichen Testaments gegenüber dem Bevollmächtigten des anderen Ehegatten möglich sein, jedenfalls dann, wenn nicht ein Sachverhalt vorliegt, aus dem hervorgeht, dass der Widerruf eklatant den Interessen des geschäftsunfähigen Ehepartners widerspricht.