1. Gesetzliche Regelung
Das Gesetz sieht vor, dass der Überlebende seine Verfügungen aufheben kann, wenn er das ihm Zugewendete ausschlägt (§ 2271 Abs. 2 Satz 2 BGB). Damit fällt mit der Ausschlagung auch die Bindungswirkung weg. Aufgrund der Formulierung (… das ihm Zugewendete…) ist hier jedes Rechtsgeschäft zu subsumieren, durch das jemand einem anderen einen Vermögensvorteil verschafft, also etwa auch ein Vermächtnis. Selbst eine Auflage würde ausreichen, denn auch dem durch eine Auflage Begünstigten muss die Möglichkeit gegeben werden, durch eine Ausschlagung seine Testierfreiheit wiederzugewinnen.
2. Umfang der wiedererlangten Testierfreiheit
Fraglich ist, ob die Ausschlagung zur Wiedererlangung der Testierfreiheit sich nur auf das durch die Verfügung von Todes wegen Zugewendete bezieht oder ob der Ausschlagende zugleich sein gesetzliches Erbrecht ausschlagen muss. Hat beispielsweise der Längerlebende eine Zuwendung erhalten, wäre er aber auch für den Fall der Ausschlagung gesetzlicher Erbe (bei Ehegatten der Regelfall), würde er bei erklärter Ausschlagung des ihm testamentarisch Zugewendeten immer noch gesetzlicher Erbe bleiben. Für den Fall, dass der gesetzliche Erbteil wertmäßig an die testamentarische Zuwendung heranreicht, was noch bei 3/4 des Wertes der testamentarischen Zuwendung bejaht wird, verlangt daher die herrschende Meinung, dass der Überlebende dann auch sein gesetzliches Erbrecht ausschlagen muss, um seine Testierfreiheit wiederzuerlangen.
Eine andere Auffassung hält dies für eine Frage der ergänzenden Auslegung des Testaments, wonach die letztwillige Verfügung dahingehend ausgelegt werden könne, dass der Überlebende unter der aufschiebenden Bedingung enterbt und damit auch nicht gesetzlicher Erbe wird, dass er ausschlägt und der testamentarische Erbteil im Wesentlichen dem gesetzlichen Erbteil entspricht. Der BGH hat jüngst beide Meinungen zitiert, es aber offen lassen können, welcher Auffassung zu folgen ist.
3. Schicksal der Verfügungen des Erstversterbenden
Durch die erfolgte Ausschlagung erlangt sodann der längerlebende Ehegatte seine Testierfreiheit zurück. Die Bindungswirkung ist beseitigt. Er kann daher seine eigenen Verfügungen aufheben. Bei dieser Aufhebung gemäß § 2271 Abs. 2 Satz 1 2. HS BGB handelt es sich zugleich um den Widerruf im Sinne von § 2270 Abs. 1 BGB. Somit könnte also ein so ausschlagender Ehegatte neu testieren.
Was aber geschieht mit den Verfügungen des erstversterbenden Ehegatten? Im Zweifel ist davon auszugehen, dass auch diese Verfügungen unwirksam werden (§ 2270 Abs. 1 BGB). Etwas anderes wird man nur annehmen können, wenn sich hier durch eine Auslegung ergibt, dass der Erblasser, also der Erstversterbende, seine Verfügungen auch für den Fall getroffen hätte, dass ihm die Unwirksamkeit der Verfügung des anderen Ehegatten bekannt gewesen wäre. Dann würde diese Verfügung als einseitige Verfügung aufrechterhalten. In aller Regel wird man aber einen derartigen Aufrechterhaltungswillen nicht annehmen können.
Lassen sich derartige Anhaltspunkte nicht finden, ist grundsätzlich über § 2270 Abs. 1 BGB von der Unwirksamkeit auch der wechselbezüglichen Verfügungen des vorverstorbenen Ehegatten auszugehen. Diese Unwirksamkeit tritt auch sofort ein und nicht erst mit dem Tode des längerlebenden Ehegatten.