1
Es geht vorliegend um Fälle, bei denen Menschen infolge Krankheit, Behinderung, Alter oder aus sonstigen Gründen der Hilfe bedürfen und diese allgemeinen Unterstützungsleistungen und Verrichtungen des täglichen Lebens von gesetzlich hierzu nicht verpflichteten Personen, unentgeltlich oder gegen unzureichendes Entgelt erbracht werden. Die Zuwendung im Wege der letztwilligen Verfügung – gewissermaßen als Dank des Gepflegten für die erbrachten Fürsorgeleistungen – führt zu einem steuerpflichtigen Erwerb, bei dessen Versteuerung ein Freibetrag in Höhe von 20.000 EUR steuermindernd geltend gemacht werden kann.
1. Einleitung
In den meisten Fällen – wie in dem hier entschiedenen – weiß der Begünstigte vor dem Erbfall nichts von der Zuwendung. So auch in dem vom BFH entschiedenen Fall ... Hier erhielt der Pflegeleistende im Wege des Vermächtnisses zwei kleine zu Wohnzwecken fremdvermietete Eigentumswohnungen. Streitig ist in solchen Fällen oftmals die Frage bezüglich der Sachbehandlung des Pflegefreibetrags gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 9 ErbStG.
2. Der Freibetrag nach § 13 Abs. 1 Nr. 9 ErbStG
Nach § 13 Abs. 1 Nr. 9 ErbStG wird Personen ein Freibetrag iHv 20.000,– EUR gewährt, die dem Erblasser unentgeltlich oder gegen unzureichendes Entgelt Pflege oder Unterhalt gewährt haben.
Voraussetzung für die Gewährung des Freibetrags ist eine glaubhafte Darlegung der Pflegeleistungen durch den Steuerpflichtigen und dass diese unentgeltlich und regelmäßig über einen längeren Zeitraum (d. h. nachhaltig, also nicht nur gelegentlich oder vorübergehend) erbracht wurden.
Die Gewährung des Freibetrags scheidet – zumindest nach derzeitiger Rechtsprechung – aus, wenn der Leistende aufgrund gesetzlicher Vorschriften zum Unterhalt verpflichtet oder mit dem Gepflegten in gerader Linie verwandt ist. Zu der Frage, ob auch unterhaltspflichtige Angehörige den Freibetrag erhalten können, ist derzeit unter Az: II 22/12 eine Revision (FG Niedersachsen, 3. Senat, 3 K 229/11) beim BFH anhängig.
3. Begriff der Pflege
Der Begriff der Pflege iSd § 13 Abs. 1 Nr. 9 ErbStG ist gesetzlich nicht definiert und auch die im Frühjahr 2012 veröffentlichten Erbschaftsteuerrichtlinien 2011 (Re13.5 ErbStR) geben keinen Aufschluss darüber, was unter "Pflege" im Sinne dieser Vorschrift zu verstehen ist.
Neben der grundsätzlichen Klärung der Definition dieses Begriffes ist streitig, ob die Gewährung des Freibetrags an die Einstufung in eine Pflegestufe nach § 15 SGB XI zu knüpfen ist. Eine gesetzliche Grundlage für diese Handhabung ist nicht ersichtlich. Ebenso wenig gibt es eine Rechtfertigung für die Kürzung bzw. Versagung des Freibetrags ab Heimunterbringung. Diese Argumentation geht an der Realität vorbei. Gerade Unterstützungsleistungen und menschliche Zuwendung iSd § 13 Abs. 1 Nr. 9 ErbStG können von den Pflegeheimen aus Gründen der Arbeitsüberlastung gar nicht mehr erbracht werden.
4. Aussagen der BFH-Entscheidung
Der Begriff "Pflege gewähren" in § 13 Abs. 1 Nr. 9 ErbStG ist, anders als beispielsweise der Begriff der Hilflosigkeit in § 33 b Abs. 6 des EStG, gesetzlich nicht definiert und muss als steuerrechtliches Tatbestandsmerkmal nach seinem steuerrechtlichen Bedeutungszusammenhang, nach dem Zweck des jeweiligen Steuergesetzes und nach dem Inhalt der einschlägigen Einzelregelung interpretiert werden.
Wortlaut, Entstehungsgeschichte und Zweck der Steuerbefreiung des § 13 Abs. 1 Nr. 9 ErbStG rechtfertigen nach Auffassung des BFH eine weite Auslegung dieses Tatbestandsmerkmals. Es reicht für die Gewährung der Steuerbefreiung nach § 13 Abs. 1 Nr. 9 ErbStG aus, dass die Pflege des Erblassers durch seine Hilfsbedürftigkeit veranlasst war. Es ist dabei nicht erforderlich, dass der Erblasser pflegebedürftig im Sinne des § 14 Abs. 1 SGB XI und einer Pflegestufe nach § 15 Abs. 1 Satz 1 SGB XI zugeordnet war. Entgegen der bisher vielfach vertretenen Auffassung der Finanzverwaltung kommt es für die Gewährung des Freibetrags nach § 13 Abs. 1 Nr. 9 ErbStG gerade nicht auf die Einstufung in eine Pflegestufe gemäß § 15 Abs. 1 SGB XI an. Entscheidend ist die glaubhafte Darlegung von Pflegeleistungen, wozu neben den nicht von § 14 Abs. 4 SGB XI erfassten Hilfeleistungen auch weitere zählen, wie z. B. Erledigung von Botengängen und schriftlichen Angelegenheiten, Besprechungen mit Ärzten, Vorsprachen bei Behörden, Spaziergänge, Zeitung vorlesen sowie die seelische Betreuung des Erblassers, maW menschliche Zuwendungen. Gerade bei hilfsbedürftigen Personen kann es erforderlich sein, dass sie einen Ansprechpartner ihres Vertrauens haben, an den sie sich mit ihren Anliegen wenden können. Das Vorliegen von Pflegeleistungen ist unabhängig davon, ob die Vertrauensperson als Betreuer nach den § 1896 ff des BGB bestellt war. Voraussetzung ist, dass die Leistungen regelmäßig und über eine längere Dauer erbracht wurden.
Hier vorliegend hat der Steuerpflichtige die hochbetagte Erblasserin seit Jahren betreut und nachweislich regelmäßig Pflegeleistungen erbracht. Nach dem Revisionsurteil des BFH sind in Hinblick auf Sinn und Zweck der Steuerbefreiung und die damit verbundenen Nachweisschwierigkeiten keine übersteiger...