Leitsatz
1. Bestimmen Eheleute in einem gemeinschaftlichen Testament, dass dieses ebenfalls im Fall der Ehescheidung gelten soll, so ist hierdurch nicht darauf zu schließen, dass dies auch für den Fall der erneuten Eheschließung eines der Ehepartner gelten soll.
2. Der zweite Ehegatte ist auch dann zu der Anfechtung der Verfügungen in dem gemeinschaftlichen Testament berechtigt, wenn die Anfechtung nicht zur Wirksamkeit einer Verfügung von Todes wegen führt, aufgrund derer der zweite Ehegatte Erbe wird.
OLG Hamm, Beschluss vom 28. Oktober 2014 – I-15 W 14/14
Sachverhalt
Die Beteiligte zu 1) ist die erste Ehefrau des Erblassers. Beide errichteten am 3.9.20## ein handschriftliches und von beiden Ehegatten unterschriebenes Testament, in dem sie sich unter (1) gegenseitig zu alleinigen Erben einsetzten und unter (2) "unseren Sohn N" zum Erben des Zuletztversterbenden sowie zu Ersatzerben dessen Abkömmlinge bestimmten.
Am 20.10.20## schlossen sie vor dem Notar T in F (UR-Nr. (...)) einen Ehevertrag, in dem es auszugsweise heißt:
Zitat
"Die Erschienenen zu 1) und 2) haben am 4.6.19## ... die Ehe geschlossen ... "
Die Ehefrau ist die Mutter des Kindes N, geb. 20.1.19##.
N ist von dem Ehemann rechtswirksam adoptiert worden.
Zur einverständlichen Regelung des Güterstandes und ihrer vermögensrechtlichen Verhältnisse treffen die Parteien die nachfolgende Regelung, die auch dann Bestand haben soll, wenn die Eheleute sich scheiden lassen, unbeschadet des Rechts der Eheleute, die Vereinbarung ganz oder zum Teil einverständlich aufzuheben und/oder abzuändern. ...
§ 6 Erbrecht/Pflichtteilsrecht
Der beurkundende Notar verwies die Beteiligten darauf, dass das gesetzliche Erb- bzw. Pflichtteilsrecht der Beteiligten bezüglich des Nachlasses des anderen mit der Ehescheidung, ggf. schon mit der Einreichung des Antrages auf Ehescheidung, entfällt. Der Notar belehrte des weiteren darüber, daß testamentarische und erbvertragliche Regelungen zwischen Eheleuten ggf. auch schon mit Einreichung des Antrages auf Ehescheidung unwirksam werden.“
Am selben Tag, den 20.10.20##, fertigten der Erblasser und die Beteiligte zu 1) auf der Rückseite ihres am 3.9.20## auf einem Blatt der Rechtsanwaltskanzlei "B und G" – zu der u. a. der Notar T gehörte – errichteten Testaments einen handschriftlichen und von beiden Ehegatten unterschriebenen Nachtrag mit folgendem Wortlaut:
Zitat
"Unsere vorstehenden umseitigen letztwilligen Verfügungen sollen auch für den Fall der Ehescheidung gelten."
Die Ehe des Erblassers mit der Beteiligten zu 1) wurde am 26.9.20## rechtskräftig geschieden (20 F 42/## AG U).
Am 9.12.20## heiratete der Erblasser die Beteiligte zu 2). Mit dieser errichtete er am 10.1.20## ein gemeinsames notarielles Testament (UR-Nr. 5/20## des Notars (...) in B), in dem er und die Beteiligte zu 2) unter Nr. 1. "vorsorglich alle etwa bisher getroffenen von Todes wegen" widerriefen. Unter 2. ("Erster Erbfall") bestimmte der Erblasser seinen Neffen T zu seinem alleinigen Erben und setzte zugunsten der Beteiligten zu 2) ein Vermächtnis aus, nach dem sie ein lebenslängliches, unentgeltliches Wohnungsrecht an sämtlichen Räumen des Hauses L-Straße in B erhalten sollte; die Beteiligte zu 2) setzte den Erblasser zu ihrem Schlusserben ein; die Erbeinsetzung des Erblassers durch die Beteiligte zu 2) und die Vermächtnisaussetzung zugunsten der Beteiligten zu 2) durch den Erblasser sollten wechselbezüglich sein. Unter 3. (Schlusserbfall) setzten beide Eheleute T ein und bestimmten, dass die Schlusserbeinsetzung nicht wechselbezüglich sein solle.
Nach dem Tod des Erblassers am 14.2.20## eröffnete das Nachlassgericht am 21.3.20## die beiden oben genannten Testamente. Am 9.4.20## beantragte die Beteiligte zu 1) zur Niederschrift des Notars X in E (UR-Nr. (...)) die Erteilung eines Erbscheins, nach dem sie den Erblasser allein beerbt hat. Dabei führte sie u. a. aus, ihrer Meinung nach sei der Widerruf ihrer Erbeinsetzung in dem Testament des Erblassers vom 10.1.20## wegen der Bindungswirkung des Testaments vom 3.9./20.10.20## unwirksam.
Mit Schreiben vom 24.5.20## erklärte die Beteiligte zu 2) gegenüber dem Nachlassgericht die Anfechtung des Testaments vom 3.9./20.10.20## (...) unter Berufung auf § 2079 S. 1 BGB, weil sie als Pflichtteilsberechtigte übergangen worden sei, sowie auf § 2078 Abs. 1 BGB, weil der Erblasser mit seinem Testament vom 3.9./20.10.20## keine Erklärung dahin habe abgeben wollen, dass dieses Testament auch dann gelten sollte, wenn ein Ehegatte nach Scheidung eine neue Ehe schließt. Nachdem der im Testament begünstigte T dieses Schreiben vom 24.5.20## erhalten hatte, schlug er zunächst mit Anwaltsschreiben vom 25.6.20## und nach einer entsprechenden Belehrung seitens des Nachlassgerichts durch unterschriftsbeglaubigte Erklärung vom 2.7.20## (UR-Nr. (...) des Notars (...) in D) die Erbschaft nach dem Erblasser aus.
Im August 20## ließ die Beteiligte zu 2) in Ausübung der ihr vom Erblasser am 5.4.20## erteilten Vollmacht der Beteiligten zu 1) zum Zwecke des Widerrufs der letztwi...