Mit Kommentaren zu den Auswirkungen der EU-ErbVO, Hinweisen zur Gestaltung letztwilliger Verfügungen sowie einem kurzen Überblick über das gerichtliche Verfahren bei unstreitigen Erbfällen
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Noch vor 20 Jahren war Singapur den allermeisten Deutschen, wenn überhaupt, lediglich als der besenreine Stadtstaat mit Kaugummiverbot und großem Bankensektor bekannt. Singapur, das war der Ferne Osten. Singapur, das war weit weg. Seitdem hat sich viel getan. Singapur wird regelmäßig zu einer der lebenswertesten Städte der Welt gewählt und hat sich als Staat im Zentrum des Verbundes Südostasiatischer Nationen (ASEAN) zu einem Hub für Firmen aus aller Welt entwickelt. In den ASEAN Staaten leben insgesamt etwa 700 Millionen Menschen und Wirtschaftsvertreter sehen hier enormes Potential für die nächsten Dekaden. Auch den deutschen Firmen ist dieses Potential nicht verborgen geblieben. Nachdem zu Beginn noch eher die "Big Player" den Schritt nach Asien wagten, war es später der gehobene Mittelstand und mittlerweile ist es teilweise auch schon der kleinere, noch familiengeführte Mittelstandsbetrieb. In der Konsequenz verschlägt es jedes Jahr hunderte Deutsche beruflich nach Singapur, sei es als Entsandte oder als Unternehmer. Manche bleiben für ein paar Jahre, andere ein Leben lang.
A. Einleitung
Wer sich als Deutscher für ein Leben in Singapur entscheidet, entscheidet sich damit gleichzeitig auch für ein Leben in einem anderen Rechtssystem. Besonders interessant wird das aus juristischer Sicht dort, wo es zur Anwendung singapurischen Rechts auch in solchen Bereichen kommt, die der Betroffene nicht bedacht hat oder hinsichtlich derer er mit einer Anwendung deutschen Rechts gerechnet hat.
Dies trifft insbesondere auf das Erbrecht zu. Wer sich mit seinem Nachlass beschäftigt, sollte sicherstellen, dass seine Wünsche und Vorstellungen auch so umgesetzt werden, wie er sich das vorgestellt hat. Seit dem 17.8.2015 ist diese Frage relevanter denn je, gilt doch seit diesem Tag die neue EU-Erbrechtsverordnung (EU-ErbVO) mit weitreichenden Änderungen vor allem im Bereich der Bestimmung des anwendbaren Rechts.
Die folgenden Ausführungen setzen sich mit den Fragen der internationalen Zuständigkeit und des anwendbaren Rechts in deutsch-singapurischen Erbfällen auseinander. Sie berücksichtigen dabei vor allem die Auswirkungen der EU-ErbVO. Anschließend werden ausgesuchte Ausschnitte aus dem Erbrecht Singapurs überblickartig vorgestellt. Sie sollten bei jeder Erstellung einer letztwilligen Verfügung im Auge behalten werden. Schließlich wird ein Abriss über das singapurische Verfahren zur Bestellung eines Nachlassverwalters gegeben. Dieses Verfahren ist notwendig, um den Erben zu ihrem Erbe zu verhelfen. Ziel dieses Beitrags ist es, ein Bewusstsein für jene Problembereiche zu schaffen, die beim Ableben eines Deutschen mit Bezug zu Singapur und der vorsorgenden Gestaltung seines Nachlasses relevant sein können.
B. Internationale Zuständigkeit und anwendbares Recht im deutsch-singapurischen Erbfall
I. Rechtslage in Deutschland
1. Internationale Zuständigkeit
Verstirbt ein deutscher Staatsbürger mit Wohnsitz in Singapur, stellt sich zunächst die Frage, welches Gericht für Entscheidungen in der Erbsache international zuständig ist.
Durch die EU-ErbVO wird diese Frage für Erbfälle mit Auslandsberührung neu geregelt. Grundsätzlich, also insbesondere ohne Beachtung der Besonderheiten, die eine Rechtswahl nach Art. 22 EU-ErbVO mit sich bringen kann, sind gemäß Art. 4 EU-ErbVO für den gesamten Nachlass die Gerichte des Mitgliedsstaates zuständig, in welchem der Erblasser zum Zeitpunkt seines Todes seinen "gewöhnlichen Aufenthalt" hatte.
Aufgabe der Rechtsprechung wird es sein, den Begriff des "gewöhnlichen Aufenthalts" mit Konturen zu versehen. Dabei bietet es sich an, die Erwägungen des Verordnungsgebers heranzuziehen. Gemäß Erwägungsgrund 23 EU-ErbVO sollte eine Gesamtbeurteilung der Lebensumstände des Erblassers in den Jahren vor seinem Tod und im Zeitpunkt seines Todes vorgenommen werden. Dabei sollen alle relevanten Tatsachen berücksichtigt werden, insbesondere die Dauer und die Regelmäßigkeit des Aufenthalts des Erblassers in dem betreffenden Staat sowie die damit zusammenhängenden Umstände und Gründe. Der gewöhnliche Aufenthalt soll eine besonders enge und feste Bindung zu dem betreffenden Staat erkennen lassen. Jedenfalls kann eine Person – selbst wenn sie in beiden Staaten Wohnungen unterhält – nur einen gewöhnlichen Aufenthalt im Sinne der Verordnung haben.
Hat sich ein deutscher Erblasser aus beruflichen oder wirtschaftlichen Gründen nach Singapur begeben, um dort zu arbeiten, erhält er aber gleichzeitig eine enge und feste Bindung zu seinem Herkunftsstaat aufrecht und hat dort ein gefestigtes familiäres und soziales Netzwerk, kann...