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Der Befund ist ebenso bekannt wie in seinen Konsequenzen viel diskutiert: Der Anteil pflegebedürftiger Personen an der Gesamtbevölkerung nimmt kontinuierlich zu. In Deutschland waren auf der Basis der zuletzt veröffentlichten Statistik im Jahr 2013 rund 2,6 Millionen Menschen pflegebedürftig. Immerhin 71 % der Betroffenen wurden zu Hause gepflegt – überwiegend durch Angehörige, wenn auch teilweise unter Zuhilfenahme ambulanter Pflegedienste. Nur 29 % der Pflegebedürftigen waren 2013 in Pflegeheimen versorgt. Ohne die private Pflege würde das durch die Pflegeversicherung gestützte Pflegesystem zusammenbrechen. Über § 2057a Abs. 1 S. 2 BGB finden Pflegeleistungen Eingang in das Erbrecht. Die Norm will die private Pflege fördern, indem sie eine Ausgleichslösung bei der erbrechtlichen Auseinandersetzung bietet. Allerdings begünstigt sie nur einen eingeschränkten Kreis pflegender Angehöriger und bietet nicht selten Anlass für Streit unter den Erben und Pflichtteilsberechtigten. Im Mittelpunkt des folgenden ersten Teils dieses Aufsatzes steht die historische Entwicklung der Norm und die Auseinandersetzung der Rechtsprechung mit den unbestimmten Rechtsbegriffen in § 2057a Abs. 1 BGB, nämlich der Pflege "während längerer Zeit" und dem notwendigen Beitrag der Pflegeleistung zur Erhaltung des Erblasservermögens "in besonderem Maße". Im abschließenden zweiten Teil im folgenden Heft der ZErb wird es sodann schwerpunktmäßig um die Bestimmung der Ausgleichungshöhe unter Berücksichtigung der Billigkeit nach § 2057a Abs. 3 BGB und um den notwendigen Einbezug der Vermögensinteressen der übrigen Erben und Pflichtteilsberechtigen gehen.
1. Die gesetzliche Regelung und der Rechtsprechungsbefund
Nach § 2057a Abs. 1 S. 1 und 2 BGB kann ein Abkömmling, der den Erblasser während längerer Zeit gepflegt und dadurch in besonderem Maße dazu beigetragen hat, das Vermögen des Erblassers zu erhalten oder zu vermehren, bei der Auseinandersetzung eine Ausgleichung unter Abkömmlingen verlangen, die mit ihm als gesetzliche Erben zur Erbfolge gelangt sind. Die Vorschrift ordnet die entsprechende Geltung des § 2052 BGB an, sodass die Regelung im Zweifel auch dann gilt, wenn der Erblasser die Abkömmlinge testamentarisch auf dasjenige als Erben eingesetzt hat, was sie auch als gesetzliche Erben erhalten würden. Diese besondere Ausgleichungspflicht spielt schließlich auch eine Rolle, wenn es um den Pflichtteil eines von mehreren Abkömmlingen geht. Wären in dieser Situation nämlich bei gesetzlicher Erbfolge Pflegeleistungen nach § 2057a BGB zur Ausgleichung zu bringen, bestimmt sich gemäß § 2316 Abs. 1 S. 1 BGB auch der Pflichtteil nach demjenigen, was auf den gesetzlichen Erbteil unter Berücksichtigung der Ausgleichungspflicht entfallen würde. Die Ausgleichungspflicht für Pflegeleistungen ist mithin bei der Pflichtteilsberechnung sowohl zugunsten als auch zulasten des Pflichtteilsberechtigten zu berücksichtigen.
Die Norm – die dispositiv ist – enthält eine ungewöhnliche Häufung unbestimmter Rechtsbegriffe. Für die Höhe der Ausgleichung verweist § 2057a Abs. 3 BGB auf Billigkeit. In besonderem Maße kommt es also auf die richterliche Einordnung an. Sie wird im Einzelfall für den anwaltlichen Berater vorab nicht leicht einzuschätzen sein. Umso wichtiger ist die Analyse von Leitentscheidungen der Rechtsprechung. Versucht man sich insoweit einen ersten Überblick in den Rechtsprechungsdatenbanken zu verschaffen, fällt der Befund recht mager aus. Die zentrale, häufig zitierte Entscheidung des BGH zu § 2057a BGB datiert schon auf 9.12.1992. Eher am Rande finden sich – durchaus wesentliche – Ausführungen zur Auslegung der Norm auch im Urteil des BGH vom 8.3.2006. An jüngerer obergerichtlicher Rechtsprechung mit einem Schwerpunkt auf Pflegeleistungen nach § 2057a Abs. 1 S. 2 BGB sind vor allem die Urteile des OLG Frankfurt vom 19.3.2013 und des OLG Schleswig vom 15.6.2012 und vom 22.11.2016 zu nennen. Immerhin gibt es verstreut einige weitere veröffentlichte Entscheidungen, aus denen sich Weiterführendes zu Detailproblemen der Ausgleichungspflicht bei Pflegeleistungen entnehmen lässt. Die insgesamt aber doch geringe Zahl einschlägiger Judikate dürfte im Widerspruch zur tatsächlichen Bedeutung der Norm stehen. Es bedarf dringend weiterer Rechtsprechungsveröffentlichungen, um § 2057a Abs. 1 S. 2 BGB und den dort erfassten Problembereich besser zu durchdringen, die Einheitlichkeit und Voraussehbarkeit der Entscheidungen zu fördern und für eine verlässliche anwaltliche Beratung ausreichendes Material vorzuhalten.
2. Fallbeispiel
Die folgende Fallgestaltung umfasst typische Probleme des Ausgleichs von Pflegelei...