Erbrechtler machen manchmal Anleihen beim Sozialversicherungsrecht, wenn es darum geht, den Wert einer Pflegeleistung zu bemessen. Anlass dazu geben Verträge, bei denen die Pflegeleistungen die Zuwendung im Rahmen der vorweggenommenen Erbfolge von einer unentgeltlichen zu einer teil- oder vollentgeltlichen machen (z. B. § 528 BGB, § 2325 BGB), Fälle enttäuschter Erberwartungen trotz erbrachter Pflege sowie die Bewertung von Pflegeleistungen im Rahmen von § 2057 a BGB. In allen Fällen wird nach einem Maß für die Bewertung erbrachter oder zu erbringender Pflegeleistungen gesucht. Solche Anleihen sind nicht unproblematisch. Hierzu ein typisches Beispiel aus einem Handbuch zur vorweggenommenen Erbfolge. Die Empfehlung zur Gestaltung eines Falles von "Wart und Pflege" lautet:

Zitat

"Der Übernehmer hat dem Übergeber bei Krankheit und Gebrechlichkeit folgende Wart- und Pflegeleistung zu erbringen: ... "

Der Übernehmer hat persönlich oder durch Angehörige auf Verlangen dem Berechtigten unentgeltlich den Haushalt zu führen (insbesondere Wohnungsreinigung und Wäsche waschen).

Soweit der Übernehmer selbst oder durch Angehörige – insbesondere also ohne Inanspruchnahme von Pflegekräften – dazu in der Lage ist oder bei Krankheit und Gebrechlichkeit des Berechtigten, hat er dessen häusliche Pflege zu übernehmen (Grundpflege, also Dienste in den Bereichen Körperpflege, Ernährung und Mobilität).

Die Verpflichtung zur Dauerpflege besteht nur insoweit, als nach dem Urteil des Hausarztes des Berechtigten der durchschnittliche tägliche Zeitaufwand 90 Minuten nicht übersteigt.“

In der Erläuterung zu diesem Mustertext wird richtigerweise empfohlen, die Grenze der Pflegeverpflichtung genau zu benennen. Dazu solle eine zeitliche Begrenzung eingebaut werden. Dazu heißt es:

Zitat

"Diese zeitliche Begrenzung ist im Muster mit 90 Minuten genau unterhalb der derzeitigen Schwelle zur Pflegestufe 1 nach § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB XI in Verbindung mit der Pflegebedürftigkeitsrichtlinie der Spitzenverbände der Pflegekassen angesiedelt. Insbesondere wird so eine Kürzung des Pflegegeldes, das nach § 64 Abs. 1 SGB XII ab Erreichen der Pflegestufe 1 gewährt wird, vermieden."

Der Begriff der Grundpflege, der im Text verwendet wird, war im SGB XI aF terminus technicus. Er bezeichnete die Hilfen, bei denen der Betroffene im gewöhnlichen Ablauf des Tages regelmäßig Hilfe benötigte. Die Pflegestufe 1 wurde erreicht, wenn der Hilfebedürftige regelhaft 45 Minuten hauswirtschaftliche Versorgung und mehr als 45 Minuten Grundpflege pro Tag benötigte. Bei einem Grundpflegebedarf von 90 Minuten befand man sich schon sehr weit auf dem Weg zur Pflegestufe 2, die einen Grundpflegebedarf von 120 Minuten vorsah. Man war also nicht unterhalb der Pflegestufe 1. Das liegt an dem falschen Verständnis der aus Grundpflege und hauswirtschaftlicher Versorgung bestehenden Pflegestufe.

Das Problem dieser vertraglichen Regelung besteht heute darin, dass der Gesetzgeber beschlossen hat, ab 1.1.2017 das System der Pflegestufen nicht mehr weiter zu verfolgen, da es eine minutengenaue Ermittlung des Grundpflegebedarfs voraussetzt und insbesondere die sich aus kognitiven Leistungseinschränkungen ergebenden Betreuungsbedarfe bisher nur unvollkommen berücksichtigt hat. Seit dem 1.1.2017 werden die bisherigen Pflegestufen deshalb durch Pflegegrade ersetzt:

 
Pflegegrad 1 = geringe Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder Fähigkeiten
Pflegegrad 2 = erhebliche Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder Fähigkeiten
Pflegegrad 3 = schwere Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder Fähigkeiten
Pflegegrad 4 = schwerste Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder Fähigkeiten
Pflegegrad 5 = schwerste Beeinträchtigungen mit besonderen Anforderungen an die pflegerische Versorgung

Maßgeblich für die Frage der Eingruppierung in einem Pflegegrad ist nicht mehr, wie bisher, der Grundpflegebedarf. Entsprechend den Ansätzen des Behinderungsbegriffs (Definition WHO) wird heute gefragt, wie der Grad der Selbständigkeit aussieht. Der Grad der Selbstständigkeit wird in 6 verschiedenen Bereichen gemessen und – mit unterschiedlicher Gewichtung – zu einer Gesamtbewertung zusammengeführt. Daraus ergibt sich dann die Einstufung in einen Pflegegrad.

Die 6 Bereiche (Module) sind:

Mobilität
Kognitive und kommunikative Fähigkeiten, Verhaltensweisen und psychische Problemlagen
Selbstversorgung
Bewältigung von und selbständiger Umgang mit krankheits- und therapiebedingten Anforderungen und Belastungen
Gestaltung des Arbeitslebens
Sozialer Kontakt

Die jeweiligen Module haben vom Gesetzgeber eine Gewichtung erfahren. Nach Maßgabe dieser Gewichtung wird der Pflegegrad ermittelt.

Gewichtung der Module

 
Mobilität = 10 %
Kognitive und kommunikative Fähigkeiten, Verhaltensweisen und psychische Problemlagen = 15 %
Selbstversorgung = 40 %
Bewältigung von und selbständiger Umgang mit krankheits- und therapiebedingten Anforderungen und Belastungen = 20 %
Gestaltung des Arbeitslebens, soziale Kontakte = 15 %

Nach dem n...

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