Grundsätzlich anders betrachtet man die Anforderungen an den Entziehungsgrund des § 2333 Abs. 1 Nr. 2 BGB nach der Erbrechtsreform beim LG Hagen. Ein Erblasser hatte seinen Sohn wegen Rauschgiftsucht und erheblicher Straftaten enterbt und ihm den Pflichtteil entzogen. In seinem Testament gab der Erblasser an, sein Sohn sei vor drei Jahren wegen einer an ihm begangenen schweren Körperverletzung rechtskräftig verurteilt worden. Das Landgericht sah den Entziehungsgrund des § 2333 Abs. 1 Nr. 2 BGB als erfüllt an, denn die begangene Tat stelle ein vorsätzliches Vergehen (§ 12 Abs. 2 StGB mit § 15 StGB) dar, welches auch als schwer iSd § 2333 Abs. 1 Nr. 2 BGB anzusehen sei.
Bedeutsam sind die Ausführungen des LG Hagen zum Tatbestandsmerkmal der Schwere des Vergehens, denn dazu heißt es pointiert, dass auf das ungeschriebene Tatbestandsmerkmal der schweren Pietätsverletzung und einer groben Missachtung des Eltern-Kind-Verhältnisses zu verzichten sei. Als Begründung verweist das LG Hagen auf die Eingangs erwähnte Entscheidung des BVerfG, weshalb richtigerweise allein auf Zumutbarkeitsgesichtspunkte abzustellen sei. Zudem stelle das Erfordernis einer schweren Pietätsverletzung schon deshalb kein geeignetes Kriterium zur Ausfüllung des unbestimmten Rechtsbegriffs der Schwere dar, da jenes dem Familienbild eines autoritär geprägten Eltern-Kind-Verhältnisses des ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhunderts entspringe. Dem heutigen gesetzlichen Leitbild der Familie entspreche es längst nicht mehr. Nach Auffassung des LG Hagen sei es richtiger, unter Berücksichtigung des gewandelten Familienbildes vom Erfordernis der Pietätsverletzung bzw. der groben Missachtung des Eltern-Kind-Verhältnisses abzurücken und den unbestimmten Rechtsbegriff der Schwere des Vergehens durch eine allgemeinere Abwägung der vom Rechtsinstitut der Pflichtteilsentziehung betroffenen Grundrechte (Testierfreiheit und Pflichtteilsrecht) auszufüllen. Im Folgenden prüft es dann, ob das Verhalten des Sohnes gegenüber seinem Vater ein Entfallen der grundrechtlich geschützten Position des Pflichtteilsrechts als zumutbar erscheinen lässt.
Ob die gegebene Begründung mit dem autoritär geprägten Familienbild in der Sache tatsächlich zutrifft, mag an dieser Stelle dahin stehen. ME im Ansatz zu Recht stellt das LG Hagen aber auf die verfassungsrechtlichen Grundlagen ab, wie sie vom BVerfG im April 2005 formuliert worden sind. Seither muss richtigerweise auf die Zumutbarkeitsgesichtspunkte abgestellt werden, da sowohl die Testierfreiheit als auch der Pflichtteilsanspruch grundrechtlichen Schutz nach Art. 14 Abs. 1 GG genießen. Angesichts des insoweit klaren Sachverhalts konnte sich das LG Hagen dabei auf einige mehr oder weniger pauschale Hinweise auf das "brutale Verhalten" des pflichtteilsberechtigten Sohnes beschränken. Für die Bestimmung der Zumutbarkeitsgrenze bzw. die Konkordanz zwischen Pflichtteilsrecht und Testierfreiheit finden sich daher keine allgemeingültigen, weiterführenden Aussagen. Allerdings hat das LG Hagen, anders als die beiden anderen Landgerichte, die Diskussion zutreffend aufgegriffen und die Meinungsunterschiede dargelegt.