1. Neuerungen durch die Reform von 2010
Bis zur Reform von 2010 war der heutige Entziehungsgrund des § 2333 Abs. 1 Nr. 2 BGB auf zwei Kataloggründe aufgeteilt gewesen. Seither sind in § 2333 Abs. 1 Nr. 2 BGB die bisherigen Nr. 2 u. 3 aF zusammengefasst und zugleich geringfügig modifiziert worden. Damit ihm der Pflichtteil entzogen werden kann, muss sich der Pflichtteilsberechtigte jetzt eines Verbrechens (§ 12 Abs. 1 StGB) oder eines Vergehens (§ 12 Abs. 2 StGB) schuldig gemacht haben, wobei Letzteres schwer und vorsätzlich (§ 15 StGB) begangen sein muss. Beide Begriffe sind iSd Strafrechts zu verstehen. Damit konnte das Tatbestandsmerkmal der vorsätzlichen körperlichen Misshandlung mangels eigenständigen Anwendungsbereichs entfallen. Da in § 2333 Abs. 1 Nr. 2 BGB vom Reformgesetzgeber keine Beschränkungen hinsichtlich des betroffenen Rechts bzw. Rechtsguts normiert worden sind, können neben Körperverletzungsdelikten auch Vermögensdelikte zur Entziehung des Pflichtteils ausreichen, solange es sich nur um Verbrechen oder schwere Vergehen handelt.
Der Grad der für die Entziehung erforderlichen "Schwere" des vorsätzlichen Vergehens wird weder gesetzlich definiert noch erläutert. Aufgrund des Umstands, dass der Gesetzgeber mit seiner Modifikation keine inhaltliche Änderung der Entziehungsgründe beabsichtigt hatte, wird in der Literatur diskutiert, ob die bisherige Rechtsprechung zu § 2333 Nr. 2 bzw. Nr. 3 BGB aF fortgeführt werden kann, soweit es die Pflichtteilsentziehung bei den Abkömmlingen betrifft. Nach dieser Judikatur musste über den Wortlaut hinaus die Verfehlung in concreto eine schwere Pietätsverletzung (bei Nr. 2 aF) bzw. eine grobe Missachtung des Eltern-Kind-Verhältnisses (bei Nr. 3 aF) darstellen; die Tat musste sich als üble, unangemessene, sozialwidrige Behandlung erweisen. Sie musste sich aufgrund der Umstände des Einzelfalles als nicht mehr hinzunehmende Verletzung der dem Erblasser geschuldeten Achtung darstellen und die Pflichtteilsentziehung als angemessene Reaktion rechtfertigen. Überwiegend wurde in diesem Kontext die Auffassung vertreten, dass es sich bei der Beantwortung der Frage, ob eine solche grobe Missachtung vorlag, um eine Wertungsentscheidung handelte, die weitgehend der Würdigung durch den Tatrichter überlassen bleiben musste. Ob ein Vergehen schwer wog, war daher nicht allein nach seinem abstrakten Strafrahmen, sondern stets nach den Umständen des Einzelfalles zu beurteilen.
Vor diesem Hintergrund gilt es zu untersuchen, wie die Gerichte mit dieser Debatte umgehen und welche Position sie dabei beziehen.
2. LG Mosbach
Soweit ersichtlich hatte sich das LG Mosbach als erstes Gericht mit dem neu gefassten Entziehungsgrund des § 2333 Abs. 1 Nr. 2 BGB befassen müssen. Ein Vater hatte seinem Sohn den Pflichtteil mit der Begründung entzogen, der Sohn habe sowohl seine Eltern als auch die Tochter des Erblassers wiederholt unter Ausnutzung des bestehenden Vertrauensverhältnisses bestohlen (Geld, Fleisch- und Wurstkonserven). Er habe die Diebstähle auch zugegeben. Wie das LG Mosbach zunächst richtig feststellt, kommt angesichts dieser Ausführungen im Testament nur ein schweres Fehlverhalten gem. § 2333 Abs. 1 Nr. 2 BGB als möglicher Grund für die Entziehung des verfassungsrechtlich geschützten Pflichtteilsrechts des Sohnes in Betracht.
Noch zutreffend stellt das LG Mosbach weiter fest, dass es für die Anwendung des § 2333 Abs. 1 Nr. 2 BGB weniger auf das strafrechtlich geschützte Rechtsgut, sondern vorrangig auf das schwerwiegende, dem Erblasser unzumutbare Fehlverhalten des Pflichtteilsberechtigten ankommt. Grundsätzlich können daher auch Verfehlungen gegen das Eigentum den Tatbestand auslösen. Sodann stützt sich das LG Mosbach mit seiner Argumentation aber vollständig auf die zum alten Recht ergangene Rechtsprechung. Es fordert nämlich weiter, dass das Fehlverhal...