Knapp acht Jahre nach der Reform der Pflichtteilsentziehungsgründe fördert eine erste Auswertung der seither ergangenen Rechtsprechung ein zwiespältiges Ergebnis zu Tage. So ist man mancherorts geneigt, den bekannten Pfaden der alten Rechtsprechung unbeirrt weiter zu folgen, ohne die Reform inhaltlich genau zur Kenntnis zu nehmen. Hier kann sicherlich die obergerichtliche Rechtsprechung korrigierend eingreifen, wenn sie dazu Gelegenheit erhält; auch vermag die regelmäßige Behandlung in der Fachliteratur einen entsprechenden Bewusstseinswandel herbeizuführen.
Gleichwohl bleibt die Frage, ob die Reform des Pflichtteilsentziehungsrechts als gelungen bezeichnet werden kann, spricht es doch nicht gerade für die Qualität einer Änderung, wenn deren inhaltliche Neujustierung von der gerichtlichen Praxis kaum bemerkt wird. Auch wird man angesichts des praktischen Umgangs einiger Landgerichte mit § 2333 Abs. 1 Nr. 2 BGB zweifeln müssen, ob die Vorgaben des BVerfG korrekt umgesetzt worden sind mit der Folge, dass ggf. einmal ein weiteres Eingreifen des BVerfG droht.
Besonders der Entziehungsgrund des § 2333 Abs. 1 Nr. 3 BGB verdeutlicht aber, dass der Reformgesetzgeber seinerzeit zu kurz gesprungen ist. Einen Pflichtteilsentziehungsgrund beizubehalten, der so gut wie ohne einen praktischen Anwendungsbereich ist, spricht nicht von Weitsicht. Unsere österreichischen Nachbarn machen uns vor, wie ein modernes Pflichtteilsentziehungsrecht aussehen kann, dass etwa nicht länger am strikten "alles-oder-nichts-Grundsatz" festhält, sondern mit § 776 ABGB die Möglichkeit der Pflichtteilsminderung kennt. Danach kann der Pflichtteil auf die Hälfte gemindert werden, wenn der Erblasser und der Pflichtteilsberechtigte zu keiner Zeit oder zumindest über einen längeren Zeitraum vor dem Erbfall nicht in einem Naheverhältnis standen, wie es zwischen solchen Familienangehörigen gewöhnlich besteht (Abs. 1). Nach § 776 Abs. 2 ABGB gilt dies nicht, wenn der Erblasser den Kontakt grundlos gemieden oder berechtigten Anlass für den fehlenden Kontakt gegeben hat. Eine gesetzliche Möglichkeit, den Pflichtteil zu mindern, hätte vor allem den Vorteil, dass man ein weniger belastendes Instrument zur Hand hätte, mit dem sich Konstellationen aufgreifen ließen, in denen einerseits der vollständige Entzug des Pflichtteils als zu harte Sanktion empfunden wird, andererseits die ungeminderte Mindestteilhabe des Berechtigten unzumutbar erschiene. Ein solches flexibleres Instrument ließe der Praxis zudem größeren Spielraum bei der vom BVerfG geforderten Grundrechtsabwägung.