Knut Werner Lange
Verlag C.H.Beck, 2011
1128 Seiten, 128,– EUR
Erbrechtslehrbücher kleineren Umfangs gibt es in erheblicher Zahl; Lehrbücher mit mehr als tausend Seiten sind seltener: Lange/Kuchinke mit 1.408 Seiten in der 5. Aufl. 2001; zweibändig das "Erbrecht" von Ulrich von Lübtow 1971; zweibändig auch das "Erbrecht" von Karlheinz Muscheler, 2010. Als neues Werk in dieser Kategorie ist nun das "Erbrecht" von Knut Werner Lange, Ordinarius an der Universität Bayreuth, mit 1128 Seiten zu nennen.
Wie wenig andere Rechtsgebiete ist das Erbrecht durchdrungen vom Verfahrensrecht (FamFG), Handels- und Gesellschaftsrecht, Steuerrecht, Kostenrecht. Niemand kommt dem Erbrecht aus, wenn Eltern und andere enge Verwandte sterben. Trotz der großen praktischen Bedeutung befasst sich das Studium damit nur beiläufig; man betätigt sich von Dozentenseite derzeit lieber mit anderen Rechtsgebieten. Das Buch von Lange will das Erbrecht "wieder deutlicher in den Fokus der Ausbildung in Studium und Referendariat" rücken. Es folgt nicht der traditionellen Gliederung, sondern "stellt die Interessen der Akteure in den Mittelpunkt" (so das Vorwort).
Unter "Perspektive des Erblassers" wird die "Teilhabeberechtigung am Nachlas" erörtert; damit sind die gesetzliche Erbfolge und die Formen der Erbeinsetzung gemeint. Bei der Testierfähigkeit weist Lange (Kap. 3 Rn 28) darauf hin, dass der Berater in Zweifelsfällen darauf hinwirken soll, dass sich der (künftige) Erblasser vor Errichtung eines Testaments von einem Sachverständigen untersuchen lässt, das Attest des Hausarztes genügt nicht. Wird vom Nachlasspfleger ein Nachlassgrundstück veräußert, dann ist der Genehmigungsbeschluss des Gerichts dem Erben mitzuteilen (§ 41 Abs. 3 FamFG); da dieser unbekannt ist, ist zu diesem Zweck ein Verfahrenspfleger zu bestellen (Kap. 12 Rn 25); der Ansicht, es sei ein Unter-Nachlasspfleger zu bestellen, folgt Lange nicht. In diesem Kapitel wird auch auf gewerbsmäßige Erbenermittler hingewiesen, was in Lehrbüchern eher selten der Fall ist. Ein Einsichtsrecht des Erbenermittlers in Nachlassakten lehnt Lange mit der hM wegen des informationellen Selbstbestimmungsrechts ab; das scheint mir bedenklich. In wessen schutzwürdige Rechte sollte da eingegriffen werden? Letztlich geht es darum, dass der Staat durch Verweigerung der Einsicht über das Fiskuserbrecht jährlich viele Millionen erbt und sich das nicht nehmen lassen will (deshalb werden auch keine amtlichen Erbenaufrufe mehr in der regionalen Zeitung veröffentlicht, sondern nur noch im elektronischen Bundesanzeiger). Den berechtigten Interessen der in der Nachlassakte auftauchenden Personen könnte man auch auf andere Weise Rechnung tragen.
Unter der "Perspektive der Nachlassberechtigten" werden u.a. Auslegung und Anfechtung von Testamenten erörtert, Erbengemeinschaft, aber auch (auf ca. 70 Seiten) die Testamentsvollstreckung; hier wird auch auf die leidige Frage der Vergütungstabellen hingewiesen. Bei den "Fragen der Legitimation" wird der Erbschein erschöpfend behandelt und auch auf das möglicherweise einmal kommende Europäische Nachlasszeugnis hingewiesen (Kap. 19 § 79). Die amtliche Bezeichnung in der EU-ErbVO ist allerdings missverständlich, denn es wird keine europäischen Nachlassgerichte geben, die solche Zeugnisse erteilen, sondern das deutsche Nachlassgericht ist dafür zuständig, eventuell wird eine Zuständigkeitskonzentration eingeführt; es wird in den Mitgliedstaaten anerkannt. Dass diese Europäischen Zeugnisse künftig u.U. Verzeichnisse der Nachlassgegenstände und auch der den Vermächtnisnehmern zustehenden Güter enthalten sollen, wird große praktische Schwierigkeiten bringen.
Insgesamt handelt es sich um ein Buch ohne Lücken oder Fehler, auf dem neuesten Stand, mit umfassenden Nachweisen aus Literatur und Rechtsprechung; es ist jedem Erbrechtler uneingeschränkt zu empfehlen.
Prof. Dr. Walter Zimmermann, Vizepräsident des LG a. D., Passau
Autor: Prof. Dr. Walter Zimmermann