Daneben ist ein Verzicht auf den Pflichtteil in der Praxis relativ häufig. Vor dem Erbfall können Erblasser und Berechtigter z. B. einen umfassenden Erb- oder einen insolierten Pflichtteilsverzicht vereinbaren, § 2346 BGB. Nach dem Erbfall ist ein Verzicht auf den Pflichtteilsanspruch gegenüber dem Erben möglich. Die Einordnung nach dem ErbStG richtet sich in letzteren Fällen danach, ob vor oder nach Geltendmachung des Anspruchs verzichtet und ob eine Abfindung gezahlt wird. Der Verzicht kann daneben nur anteilig erklärt werden.
a) Verzicht vor dem Erbfall
Vor dem Erbfall besteht das Pflichtteilsrecht bloß abstrakt als Quelle eines möglichen Pflichtteilsanspruchs. Die Pflichtteilsberechtigung, die Pflichtteilsquote, der Bestand des Nachlasses und der Zeitpunkt der Entstehung des Pflichtteilsanspruchs stehen nicht vor dem Erbfall endgültig fest. Bis zu diesem Zeitpunkt hat ein Verzicht ohne Abfindung keine erbschaftsteuerlichen Auswirkungen. Erhält der Pflichtteilsberechtigte eine Abfindung, ist sie als freigebige Zuwendung zu versteuern. Erfolgt die Zahlung durch den künftigen gesetzlichen Erben, so findet eine Besteuerung im Verhältnis zu diesem, nicht aber mit Blick auf den künftigen Erblasser statt. Die Zuwendung unterliegt nie der Einkommensteuer. Von § 7 Abs. 1 Nr. 5 ErbStG werden über den Wortlaut ("Erbverzicht") hinaus auch Zahlungen für isolierte Pflichtteilsverzichte erfasst. Die Steuer entsteht bei Ausführung der Zuwendung, § 9 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG.
b) Verzicht nach dem Erbfall
Nach dem Erbfall erstarkt das Pflichtteilsrecht zum Pflichtteilsanspruch. Insoweit bleibt der nach dem Erbfall erklärte Verzicht auf den nicht geltend gemachten Pflichtteilsanspruch noch steuerfrei, § 13 Abs. 1 Nr. 11 ErbStG. Erhält der Berechtigte eine Abfindung, wird diese aber als Erwerb von Todes wegen besteuert, § 3 Abs. 2 Nr. 4 ErbStG. Die Steuer entsteht bereits mit der Vereinbarung des Verzichts, § 9 Abs. 1 Nr. 1 f ErbStG. Ein Geldfluss ist für die Frage der Entstehung der Steuer wieder nicht notwendig.
Mit der Geltendmachung ist der Erwerb aus erbschaftsteuerlicher Sicht unwiderruflich abgeschlossen. Dies geht wie dargestellt mit einem Erwerb nach § 3 Abs. 1 S. 1 ErbStG einher. Erhält der Pflichtteilsberechtigte dann z. B. wegen einer späteren Zahlungsvereinbarung keine Leistung, ist das zivilrechtlich ein Erlass. Steuerlich gilt das als Schenkung des Berechtigten an den Erben iSv. § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG. Es kommt also zu einem neuen – zweiten – steuerpflichtigen Vorgang. Das kann nicht mehr geheilt werden.
Anders wird der Verzicht gegen Zahlung einer Abfindung nach Geltendmachung nicht im ErbStG geregelt. Der Verzicht ist zwar entgeltlich, aber steuerneutral, falls Pflichtteilsforderung und Abfindung gleichwertig sind. Abweichend liegt bei nicht korrespondierenden Werten eine gemischte Schenkung vor.
c) Teilweise Geltendmachung
Je nach Sachverhalt ist zu bedenken, dass der Berechtigte nicht gezwungen ist, seinen Anspruch insgesamt geltend zu machen. Zivilrechtlich kann der Pflichtteilsberechtigte seine Forderung auch teilweise oder sukzessive verfolgen. Z.B. kann in streitigen Fällen eine Teilzahlungsklage parallel zu der gerichtlichen Auskunftsstufe Sinn machen, um die "Kriegskasse" zu füllen. Erbschaftsteuerlich ist indes zu unterscheiden:
Stellt der Pflichtteilsberechtigte vor oder bei teilweiser Geltendmachung in eindeutiger Weise klar, dass er den Anspruch im Übrigen nicht weiter verfolgt, wird dieser Verzicht auf den weitergehenden Anspruchs akzeptiert. Wird der Verzicht ohne eine Gegenleistung erklärt, bleibt dies für den Berechtigten und den Verpflichteten ohne steuerliche Folgen. Für Zwecke der Erbschaftsteuer wird nur der geltend gemachte Teilbetrag berücksichtigt.
Erklärt der Berechtigte sich aber nicht abschließend, wird die anteilige Geltendmachung einem Gesamterwerb gleichgestellt. Die Pflichtteilsforderung fließt in diesem Fall insgesamt in die Bemessungsgrundlage ein. Insoweit ist es auch ohne Belang, ob der Berechtigte sich die spätere Geltendmachung vorbehält oder schlichtweg schweigt.