Zugleich Besprechung von OLG Nürnberg, Beschluss vom 23. Januar 2014 – 15 W 2060/13, ZErb 2015, 130
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Der in ZErb 2015, 130 abgedruckte Beschluss des OLG Nürnberg beschäftigt sich mit der Auslegung einer Gleichzeitigkeitsformulierung in einem gemeinschaftlichen Testament. Dies gibt Anlass, sich mit Reichweite und Folgen einer solchen Testamentsklausel näher auseinanderzusetzen und die Entscheidung kritisch zu beleuchten.
A. Hintergrund der Gleichzeitigkeitsformulierung
Errichten Ehegatten ein gemeinschaftliches Testament (§ 2265 BGB), stehen ihnen zahlreiche Gestaltungsmöglichkeiten offen. Weit verbreitet sind die sogenannte Einheits- und die Trennungslösung. Bei der Einheitslösung (vgl. § 2269 Abs. 1 BGB) setzen sich die Ehegatten in einem ersten Schritt gegenseitig als Alleinerben ein. In einem zweiten Schritt bestimmen sie einen Schlusserben, der den Längerlebenden beerben soll. Konstruktiv handelt es sich hierbei um die Einsetzung eines Ersatzerben für den Fall, dass der andere Ehegatte beim eigenen Erbfall nicht mehr am Leben und somit nach § 1923 Abs. 1 BGB nicht mehr erbfähig ist. Der Schlusserbe ist beim ersten Erbfall nicht zum Erben berufen und damit – sofern er gesetzlicher Erbe wäre – enterbt, beim zweiten Erbfall beerbt er den Längerlebenden, in dessen Nachlass das Vermögen des Erstverstorbenen aufgegangen ist. Wählen die Ehegatten die Trennungslösung, setzen sie sich gegenseitig als Vorerben und eine dritte Person als Nach- bzw. Ersatzerben ein. Mit dem Tod des Zweitversterbenden tritt hinsichtlich des Erstversterbenden der Nacherbfall ein und bezüglich des Längerlebenden greift die Ersatzerbfolge. Bei beiden Alternativen tritt mit dem Tod des Erstversterbenden und bei Annahme einer Wechselbezüglichkeit (§ 2270 BGB) eine Bindung des Längerlebenden ein; er kann sich von seiner Erbeinsetzung des Dritten nur noch unter strengen Voraussetzungen lösen (§§ 2271 Abs. 2, 2078 f BGB). Die Einsetzung einer dritten Person ist aber keineswegs zwingendes Merkmal eines gemeinschaftlichen Testaments. Vielmehr können sich die Ehepartner auch damit begnügen, sich gegenseitig als Erben einzusetzen und dem längerlebenden Ehegatten somit vollkommen freie Hand nach dem Tod des Erstversterbenden lassen. Eine weitere – nicht selten gewählte und im Folgenden interessierende – Gestaltungsmöglichkeit liegt darin, dass sich die Ehegatten in einem ersten Schritt gegenseitig als Erben einsetzen und in einem zweiten Schritt einen Erben für den Fall ihres gleichzeitigen Versterbens bestimmen, jedoch im Übrigen keine Erbfolge für den Tod des Zweitversterbenden festlegen. Insoweit scheint – zumindest auf den ersten Blick – eine klare Regelung vorzuliegen: Sterben die Ehegatten nacheinander, wird der Erstversterbende von dem überlebenden Ehegatten beerbt und nach dessen Tod tritt entweder gesetzliche Erbfolge ein oder eine von ihm getroffene letztwillige Verfügung kommt zur Anwendung. Gerade in dieser Wahlfreiheit des längerlebenden Ehegatten wird häufig das Motiv für eine solche Anordnung liegen. Die gegenseitige Erbeinsetzung und die Einsetzung des Dritten für den Fall des gleichzeitigen Versterbens scheinen sich bei erster Betrachtung offensichtlich auszuschließen, sodass nur eine der beiden Verfügungen Wirksamkeit entfalten kann. Eine nähere Betrachtung (siehe unten C.) wird jedoch zeigen, dass weder die Reichweite noch die Folgen der Gleichzeitigkeitsformulierung klar und eindeutig sind.
B. Grundsätze der Auslegung testamentarischer Verfügungen
Testamentarische Anordnungen sind als Willenserklärungen einer Auslegung zugänglich. Hierbei dient § 133 BGB als Ausgangspunkt, wobei das BGB im Erbrecht zahlreiche Zweifelsregelungen zur Auslegung anordnet und den Grundsatz der wohlwollenden Auslegung (§ 2084 BGB) vorsieht. Die Auslegung testamentarischer Verfügungen verfolgt das Ziel, den wahren Willen des Erblasers zur Geltung zu bringen. Im Hinblick auf die verfassungsrechtlich garantierte Testierfreiheit (Art. 14 GG) kommt dem eine wichtige Bedeutung zu. Insoweit ist es anerkannt, dass bei der Auslegung nicht am (vermeintlich eindeutigen) Wortlaut der testamentarischen Verfügung stehen geblieben werden muss bzw. darf. Diese gebotene Auslegung steht jedoch im Widerstreit mit den strengen Formvorschriften, die der Gesetzgeber für die Errichtung einer letztwilligen Verfügung vorsieht (§§ 2231 ff BGB). Diese Formvorschriften erfüllen ebenfalls bedeutende Zwecke, indem sie eine Beweis- und Übereilungsschutzfunktion ausüben, den Erblasser vor der Verfälschung seines Willens schützen und zu Rechtssicherheit führen. Um beide Ziele in Einklang zu bringen, hat die Rechtsprechung die sogenannte Andeutungstheorie entwickelt. Hiernach sind auch außertestamentarische Umstände zur Ausleg...