Das in dieser Untersuchung gefundene neue differenzierte Bewertungsmodell kann sowohl im Rahmen von Pflichtteilsergänzungsansprüchen, ausgehend vom Tag der ergänzungspflichtigen Schenkung als Bewertungsstichtag mit Blick in die Zukunft die Bewertung vornehmen, als auch bei Ausgleichsansprüchen außerhalb von Übergabeverträgen, ausgehend vom Todestag des Erblassers, mit rückwärtsgelenktem Blick in die Vergangenheit die erfüllten Leistungen bewerten. Zudem ermöglicht der differenzierte Ansatz eine Bewertung der Wart- und Pflegeverpflichtung in den Fällen der Leistungsstörung, dabei erfolgt die Bewertung ab dem Eintritt der Störung mit Blickrichtung in die Zukunft.
So bietet der neue Bewertungsansatz auch eine Besonderheit, die zu der guten Differenzierung der Werte führt. Deutlich wird dies bei der Störfallgruppe der Pflichtteilsergänzungsansprüche. Um den Wert der Wart- und Pflegeverpflichtung als Abzugsposition zu ermitteln, gilt als Bewertungszeitpunkt der Tag der Übergabe. Hier findet das spezielle Risiko der Lebenserwartung des Berechtigten Eingang in die Bewertung. Hierzu werden als Kapitalisierungsfaktoren die Vervielfältiger aus der Tabelle des BMF zu § 14 BewG herangezogen. Die Blickrichtung für die Bewertung erfolgt also zum Tag der Übergabe mit Blick in die zu diesem Zeitpunkt ungewisse Zukunft. Es zählt nicht die tatsächliche Lebenserwartung, sondern die typische aus den Vervielfältigern Damit ist das Risikomoment angemessen berücksichtigt.
Zu der genaueren Differenzierung kommt es dann aber bei den Jahresersparnisbeträgen. Da die Bewertung der Wart- und Pflegeverpflichtung im Rahmen von Pflichtteilsergänzungsansprüchen erst nach dem Tod des Berechtigten relevant wird, können die bis zu dem Tod des Berechtigten bekannt gewordenen Bedarfslagen berücksichtigt werden. In die Bewertung fließen daher die wertaufhellenden Tatsachen ein, die nach der Übergabe eingetreten sind, nämlich ob und ab wann der Berechtigte eine der vier Bedarfsstufen (Stufe 0, I, II, III) erfüllt hat. Um das Risikomoment zu erhalten, werden jedoch nur die Bedarfslagen innerhalb der typischen Lebenserwartung berücksichtigt. In gewissem Sinne wird damit das strenge Stichtagsprinzip für diese Fallkonstellation aufgelockert. Dies ist nicht zu beanstanden, denn es ist nicht ersichtlich, aus welchem Grund eine undifferenzierte Betrachtungs- und Sichtweise vorzuziehen ist, wenn ein differenzierterer Ansatz möglich ist. Die bessere Erkenntnis muss in den Verlauf der Berechnung einfließen, um zu angemessenen Bewertungsergebnissen zu kommen. Es ist nicht vorgeschrieben, dass bekannte nachträglich eingetretene Bedarfslagen bei den Jahresersparniswerten unberücksichtigt zu bleiben haben.
Der Risikocharakter der Wart- und Pflegeverpflichtungen wird angemessen durch die Vervielfältiger gespiegelt. So sind gerade bei den erbrechtlichen Wertansätzen von den starren Stichtagsprinzipien zahlreiche Ausnahmen vorgesehen, wenn es sich um zeitlich nach dem Stichtag liegende Rechtsveränderungen handelt, die auf den Stichtag zurückwirken. Dabei wird zu Recht vertreten, dass die Lösung des Problems derartiger nachträglicher Rechtsveränderungen unter Berücksichtigung der durch das Stichtagsprinzip beabsichtigten Risikoverteilung und des Sinn und Zwecks der jeweiligen Rückwirkungsanordnung gefunden werden sollte. Wichtig ist also die korrekte Risikoverteilung und die Beachtung des Sinn und Zwecks. Mit der hier vorgeschlagenen Lösung sind diese Punkte erfüllt.
Das der Wart- und Pflegeverpflichtung innewohnende Risikomoment wird durch die typische Lebenszeit zwischen dem Berechtigten und dem Verpflichteten aufgeteilt. Sinn und Zweck für die Bewertung der Abzugsposition der Wart- und Pflegeverpflichtung ist, die möglichst der Realität nahekommendste und angemessenste Bewertung zu finden. Dazu gehört aber auch die Berücksichtigung wertaufhellender Faktoren. So sieht die Rechtsprechung des BGH beispielsweise vor, dass zur Bewertung von Nachlassgegenständen auch ein späterer (bis zu fünf Jahren nach dem Erbfall) niedrigerer Verkaufspreis grundsätzlich maßgebend für die Bewertung ist, selbst wenn ein Wertgutachten auf den Todesfall mit einem höheren Wert vorliegt. Dem Pflichtteilsberechtigten bleibt dann nur der Nachweis, dass sich die Marktverhältnisse zwischen Schätzzeitpunkt und Verkaufszeitpunkt nicht geändert haben. Als weiteres Beispiel für die Abkehr von dem strengen Stichtagsprinzip ist das Niederstwertprinzip des § 2325 II BGB anzuführen. Insbesondere für Immobilien, die vom Erblasser zu Lebzeiten verschenkt wurden, gilt im Rahmen der Ermittlung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs nur der niedrigste Wert. Zu diesem Zwecke sind die Werte zum Zeitpunkt der Schenkung (zuzüglich Indexierung auf den Erbfall) und zum Zeitpunkt des Erbfalles zu vergleichen. Der Berechtigte profitiert damit nicht von Wertsteigerungen, wird aber hinsichtlich des Risikos der Wertverringerung beteiligt. Es geht also vereinfachend darum, dass der Berechtigte nicht an ...