Leitsatz
Ist eine Zuwendung des Erblassers mit einem Erbverzicht verbunden, so ist für die Beurteilung, ob es sich trotz dieser Gegenleistung um eine unentgeltliche Zuwendung handelt, der übereinstimmende Wille der Vertragsparteien entscheidend. Ob es sich trotz des erklärten Erbverzichts um eine unentgeltliche Zuwendung handelt, ist einzelfallabhängig unter Würdigung aller konkreten Umstände zu entscheiden. Neben dem Wortlaut der Verfügung und des Erbverzichts sind die Umstände des Zustandekommens sowie deren Ausgestaltung maßgeblich zu berücksichtigen. Dass ein Erb- und Pflichtteilsverzicht erklärt wurde, ist für die Frage der Unentgeltlichkeit einer Verfügung unbedeutend, sofern der Erbverzicht für die Parteien als Ausgleich der Zuwendung des Erblassers zu verstehen ist. Mangels anderweitiger Anhaltspunkte ist hiervon regelmäßig dann auszugehen, wenn der Wert der Zuwendung demjenigen des zu erwartenden Erbteils entspricht bzw. diesen übersteigt.
BGH, Urteil vom 7. Juli 2015 – X ZR 59/13
Sachverhalt
Der Kläger verlangt die Übertragung mehrerer Miteigentumsanteile an einem Grundstück, von denen er geltend macht, er habe sie der Beklagten, seiner Tochter aus erster Ehe, geschenkt.Die Parteien schlossen am 29.1.2008 eine notarielle Vereinbarung, die als "mittelbare Grundbesitzschenkung – Erbvertrag – Erb- und Pflichtteilsverzicht” bezeichnet ist. Darin heißt es in Abschnitt I, der Kläger verpflichte sich, der Beklagten einen Geldbetrag in Höhe von 267.176,94 EUR zu schenken, den sie ausschließlich zum Erwerb einer bestimmten, im Vertrag näher bezeichneten Eigentumswohnung (Wohnung Nr. 4) und eines Tiefgaragenstellplatzes sowie von Miteigentumsanteilen in Höhe von jeweils 18/100 an zwei weiteren bestimmten Eigentumswohnungen auf demselben Grundstück (Wohnungen Nr. 6 und Nr. 9) verwenden dürfe. Soweit der schenkungsweise zugewendete Geldbetrag zur Zahlung des Kaufpreises für die von der Beklagten erworbenen Miteigentumsanteile nicht ausreiche, werde er durch die Aufnahme eines entsprechenden Kredits durch die Beklagte finanziert. In den am selben Tag geschlossenen Kaufverträgen über die Wohnungen wurde festgehalten, dass der Kläger der Beklagten die Grundstücksanteile schenke, indem er auf den Kaufpreis für die Wohnung Nr. 4 einen Betrag von 120.000 EUR und hinsichtlich der Wohnungen Nr. 6 und 9 den auf die Beklagte entfallenden anteiligen Kaufpreis in Höhe von 147.176,94 EUR zahle sowie die hierfür anfallende Grunderwerbsteuer für die Beklagte übernehme. Weiter heißt es dort, die Parteien gingen davon aus, dass es sich bei den zugewendeten Geldbeträgen um eine mittelbare Grundstücksschenkung handle. Die Parteien vereinbarten ferner, dass die Schenkungen des Klägers auf die Erb- und Pflichtteilsrechte der Beklagten anzurechnen sind. Die Beklagte verpflichtete sich, das erworbene Wohnungs- und Teileigentum nicht ohne Zustimmung des Klägers zu veräußern oder zu belasten. Hiervon ausgenommen wurden die Belastung mit Grundpfandrechten zur Finanzierung des Kaufpreises und die Möglichkeit einer Veräußerung an die Tochter der Beklagten. Bei Zuwiderhandlung sollte der Kläger die unentgeltliche Übertragung des Wohnungs- und Teileigentums auf sich verlangen können. In Bezug auf die Wohnung Nr. 4 verpflichtete sich die Beklagte, diese für die Dauer von 30 Jahren an den Kläger zu vermieten. Die jährliche Miete sollte der Summe der von der Beklagten aufzuwendenden Annuitäten, dem Wohngeld und sonstigen Lasten des Vertragsgegenstands entsprechen. Nach Tilgung der Darlehen zur Finanzierung des Vertragsgegenstands sollte eine angemessene Miete vereinbart werden. Für den Fall, dass der Kläger vor der Beklagten verstirbt, sollte diese verpflichtet sein, die Wohnung zu den gleichen Bedingungen an die Ehefrau des Klägers zu vermieten. Zur Sicherung dieses Anspruchs räumte die Beklagte dem Kläger ein lebenslanges Wohnrecht an der Wohnung Nr. 4 ein. Bezüglich der Wohnungen Nr. 6 und 9, an denen der Kläger die verbleibenden Miteigentumsanteile für sich selbst erworben hatte, schlossen die Parteien das Recht jedes Miteigentümers, die Aufhebung der Gemeinschaft zu verlangen, auf Dauer aus. Im Übrigen trafen die Parteien zu diesen Wohnungen, trotz eines Hinweises des beurkundenden Notars, keine Absprache über die Nutzung. "
Unter Abschnitt II der notariellen Vereinbarung vom 29.1.2008 schlossen die Parteien einen Erbvertrag, in dem der Kläger der Beklagten ohne Rücksicht auf gegenwärtige oder künftige Pflichtteilsberechtigte ein Vermächtnis über seine Miteigentumsanteile an den Wohnungen Nr. 6 und 9 aussetzte. Für den Fall, dass die Beklagte zugleich Erbin werden sollte, sollte das Vermächtnis als Vorausvermächtnis gelten. In Abschnitt III erklärte die Beklagte gegenüber dem Kläger den Verzicht auf ihr gesetzliches Erb- und Pflichtteilsrecht sowie auf das Noterbrecht nach türkischem Recht, aufschiebend bedingt durch den Vollzug der in Abschnitt I vereinbarten Schenkung und der Erfüllung der in Abschnitt II zugunsten der Beklagten angeordneten Vermächtnisse. ...