Schriften zum deutschen, europäischen und vergleichenden Zivil-Handels- und Prozessrecht

Stephan Kurth

Gieseking Verlag, Bielefeld 2017, XLVII + 254 Seiten, 58 EUR

ISBN: 978-3-7694-1190-4

Anknüpfungspunkt für die (ausschließliche) internationale gerichtliche Zuständigkeit und die Bestimmung des auf die Erbfolge anwendbaren Rechts ist in der EUErbVO der "gewöhnliche Aufenthalt" des Erblassers zum Zeitpunkt des Erbfalls. Wie dieser Begriff im Bereich des internationalen Erbrechts auszufüllen ist, ist unklar. Die EUErbVO enthält bekannterweise keine Definition, sondern lediglich Leitlinien, die in die "Erwägungsgründe" ausgelagert wurden. Die Rechtsprechung des EuGH zum gewöhnlichen Aufenthalt im Rahmen anderer Verordnungen der EU betonen, dass diese auf ein bestimmtes Instrument bezogen seien und nicht unmittelbar auf die Auslegung anderer Verordnungen übertragen werden dürfen. Landläufige Äußerungen zu dem Thema zeigen, dass jeder Autor seine ganz eigenen Vorstellungen dazu hat, wie der gewöhnliche Aufenthalt einer Person zu verstehen sei.

Angesichts dieses Chaos in einem zentralen Punkt der Verordnung ist es beachtenswert, dass Stephan Kurth es auf sich genommen hat, eine dogmatische und rational nachvollziehbare Basis dafür zu schaffen, wie der Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts im Rahmen der EUErbVO auszulegen ist.

Kurth beginnt seine Darstellung mit einer Übersicht über die bislang in Europa verbreiteten Anknüpfungspunkte des internationalen Erbrechts und die bisherige Praxis europäischer Gerichte bei der Auslegung des Begriffs. Überwiegende Auffassung in der deutschen Lehre ist es, dass regelmäßig ein Bleibewille erforderlich sei, um dem Aufenthalt die Qualität des "gewöhnlichen Aufenthalts" zu verleihen. Kurth dagegen vertritt die Ansicht, die historische Dimension, die einheitliche Auslegung im Rahmen der internationalen Zuständigkeit und der Bestimmung des anwendbaren Rechts, die Auslegung nach den allgemeinen methodischen Lehren und das Telos der Norm verlangten eine Orientierung ausschließlich an objektiven Kriterien.

Kurth bezieht sich hierbei auch auf die Beschränkung der Rechtswahlmöglichkeiten im Rahmen der EUErbVO. Freilich unterschätzt er mE hierbei, dass sich der für die "subjektive Theorie" maßgebliche Wille des Erblassers nicht auf die Begründung eines "gewöhnlichen Aufenthalts" bzw. die Geltung eines bestimmten Erbrechts bezieht, sondern auf die Dauerhaftigkeit des Aufenthalts in einem bestimmten Staat. Wo aber der Erblasser sich in einem anderen Staat mit der Absicht dauernden Verbleibens niederlässt, ist die Anwendung des dort geltenden Erbrechts auch angemessen – ungeachtet der Motive für die Aufenthaltsverlagerung – weil er dann die erforderliche objektive Verknüpfung mit dem neuen Aufenthaltsstaat begründet hat.

Für eine objektive Auslegung sprechen freilich neben der Rolle des gewöhnlichen Aufenthalts in den Konventionen der Haager Konferenz in der Erbrechtsverordnung seine Verwendung als Anknüpfungsfaktor für die internationale Zuständigkeit der Gerichte wie auch die Einfügung einer Ausweichklausel in Art. 21 Abs. 1 EUErbVO, die durch die subjektive Theorie überflüssig wird.

Abschießend wendet der Autor seine Definition auf die typischen Fallgruppen an und präsentiert die praktischen Ergebnisse.

Kurth setzt sich in seiner Arbeit mit einem regelmäßig unterschätzten und einer methodischen Auseinandersetzung nur schwer zugänglichen Thema auseinander. Seine praktische Bedeutung zeigt sich daran, dass einzelne Fälle bereits Gegenstand von Vorlagen an den EUGH geworden sind. Die abschließende Behandlung zahlreicher Problemfälle enthält eine Vielzahl von wertvollen Argumenten, die die Diskussion befruchten werden. Die Arbeit muss daher jedem empfohlen werden, der sich mit der künftigen Bedeutung der EUErbVO auseinandersetzen will.

Autor: Dr. Rembert Süß

Dr. Rembert Süß; Rechtsanwalt, Würzburg

ZErb 4/2018, S. 108

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