Das BSG hat mit seinem Urteil vom 17.2.2015 (B 14 KG 1/14 R) das Behindertentestament in der klassischen Erbschaftslösung endgültig anerkannt. Die Erbschaft ist dem Grunde nach sozialhilfefest und der Zugriff des Sozialleistungsträgers erst bei der Mittelfreigabe relevant. Dies bedeutet für die beiden in BGHZ 123, 368 verglichenen Fälle:
Fall 1: die Versorgung des Behinderten aus der Nachlasssubstanz
Bei der Mittelfreigabe und -verwendung zur Versorgung des Behinderten sind die sozialrechtlichen Vorgaben zu beachten. Dabei wird man aber stets, sofern Ansprüche von der Sozialhilfe gestellt werden, auf der Grundposition beharren müssen, dass ein Härtefall vorliegt.
Fall 2: die Sanierung der Immobilie mit Nachlassmitteln
Anders und interessanter, aber auch, wie wir sogleich sehen werden, rechtlich vorteilhafter ist es, wenn vom Testaments- vollstrecker Mittel aus der Nachlasssubstanz bzw. den entsprechenden Konten zum Erhalt der Immobilie aufgewendet werden müssen, gemäß § 2124 Absatz 2 Satz 1 BGB, die zur Weitervermietung zu sanieren ist.
Erbrechtlich ist dies ein Fall der Mittelsurrogation iSd zwingenden § 2111 BGB: die Ausgaben und das Vermögen von den Konten der Nachlasssubstanz gehen mittels Rechtsgeschäfte "im Gegenzug" über in den Wert (Wertsteigerung oder -erhalt) der damit sanierten Immobilie. "Der Vertragstyp oder die Vertragsbezeichnung ist unerheblich, ebenso, ob der dem Nachlass entnommene Gegenwert sich unmittelbar oder nur mittelbar in dem erworbenen Surrogat widerspiegelt."
Die Bezahlung der Handwerker stellt sozialrechtlich eine Mittelfreigabe und -verwendung dar – und damit ist fraglich, ob darauf der Zugriff der Sozialhilfe möglich bzw. die Sozialhilfe berechtigt sein könnte, Mittel zu kürzen, oder z. B. eine Überleitung von der Behörde erwogen werden könnte: sind diese freigegebenen Beträge "bereite Mittel" iSd Sozialrechts? Denn grundsätzlich verweigert das Sozialrecht der Bezahlung von Schulden die Anerkennung und sieht dies als sozialrechtlich erheblichen Vorteil an. Zudem gibt es schon seit einigen Jahren und seit der Änderung des § 11 SGB II keinen "normativen Schutzschirm" mehr, wonach man privatrechtlich bestimmen kann, welches Einkommen oder Vermögen im Sozialhilferecht anrechenbar sein soll oder nicht.
Die Kernfrage für den Erbrechtler – und nicht nur für ihn – ist, ob das Sozialhilferecht zwingende Vorgaben anderer Rechtsgebiete einfach ignorieren kann, wenn aufgrund dieser Vorgaben zwar Vermögenswerte (egal, wie man sie nun rechtlich einteilt) freigegeben werden müssen, aber diese Vermögenswerte beim Sozialhilfeempfänger gar nicht ankommen können und dürfen. Das Problem beginnt für den Testamentsvollstrecker schon damit, dass er seiner Meldepflicht nach § 60 I SGB genügen, aber auch versuchen muss, ein für den Behinderten nachteiliges Problem erst gar nicht aufkommen zu lassen (Strafbarkeit der bloßen Vermögensgefährdung gemäß § 266 StGB).
Hierbei helfen ihm bei Fall 2, den Sanierungsausgaben, aus meiner Sicht die folgenden Gesichtspunkte; gegen eine sozialrechtliche Relevanz der Sanierungskosten an sich und dem Grunde nach spricht unabhängig von der Frage, ob die freigegebenen Mittel sozialrechtlich Einkommen oder Vermögen sind und ob und wie die jeweiligen Freigrenzen und Verschonungsregeln greifen würden:
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Das BSG hat mit Urteil vom 17.2.2015 das Behindertentestament in der klassischen Form der Erbschaftslösung anerkannt, es kann daher den von der Rechtsordnung auch für den Erblasser zwingenden Surrogationsgrundsatz nach § 2111 BGB nicht mit den Fällen vergleichen, in denen der Erblasser früher über die Anrechnung von Vermögen/Einkommen sozialrechtlich bestimmen konnte. Also auch keine Rosinentheorie: das BSG kann nicht einerseits das Behindertentestament mit dem Element Vor- und Nacherbschaft anerkennen, aber andererseits die daraus zwingende gesetzliche Folge des Surrogationsprinzips ignorieren. |
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Das gesetzlich zwingende Surrogationsprinzip ist noch einschneidender als die Fälle, die bisher in der sozialgerichtlichen Rechtsprechung zu einem unverwertbaren Vermögen führten. |
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Das Sozialrecht (aner)kennt auch in anderen Konstellationen den Vorgang der Vermögensumschichtung als solchen OHNE Vermögensmehrung beim Sozialhilfeempfänger. |
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Im Bereich des sozialrechtlichen Einkommens ist anerkannt, dass es eine teleologische Reduktion des Einkommensbegriffs gibt bei Einkünften, die nicht zur Deckung des Sozialhilfebedarfs bestimmt sind (Grundsatz der Zweckidentität), z. B. bei der gesetzlich intendierten Zweckbestimmung des Pflegegeldes. Der sozialrechtliche Vermögensbegriff setzt so voraus eine Verwertbarkeit, die nicht aus rechtlichen Gründen gehindert ist; dies ist beim Behindertentestament aufgrund des Verlusts der Verfügungsbefugnis anerkannt. |
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Zudem hat der Begriff der Verwertbarkeit nach dem BSG eine zeitliche Komponente und verlangt eine zeitlich absehbare Verwertungsmöglichkeit – diese aber scheidet gerade hier aus, weil das ... |