Bei Erbscheinsanträgen gelten im Übrigen Besonderheiten, und zwar sowohl bezüglich des Antrags als auch dessen Begründung.
3.1 Bindung des Gerichts
Das Nachlassgericht ist an Erbscheinsanträge gebunden und damit nicht befugt, einen Erbschein abweichend vom Antrag zu erteilen. Die gesetzgeberische Überlegung, die hinter Nr. 3101 Nr. 3 VV RVG steckt, also die geringere Bedeutung eines Antrags aufgrund des Amtsermittlungsgrundsatzes im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit, kann in Erbscheinsverfahren nur eingeschränkt gelten. Das Gericht kann dem Antrag nur voll entsprechen oder ihn zurückweisen.
3.2 Begründungserfordernis
Vor allem aber gibt es mit den §§ 2354, 2355 BGB Sonderregelungen, die über § 23 FamFG hinausgehen. Die vom Antragsteller notwendigerweise zu machenden Angaben verlangen Sachvortrag, mithin stets eine Begründung. Ohne diese Angaben ist ein Erbscheinsantrag unzulässig – nicht unbegründet – und durch Beschluss zurückzuweisen. Von "lediglich" einem Antrag kann hier vor dem Hintergrund des Vorstehenden (s. o. Ziff. 2.) nie die Rede sein.
3.3 Weitere Überlegungen
Es lassen sich einige weitere Überlegungen anstellen, die gegen die Mindermeinung sprechen.
3.3.1 "Schlampiger" Antrag
Müller-Rabe wirft selbst eine merkwürdig anmutende Folge seiner Ansicht auf: Fordert das Gericht nach einem verfahrenseinleitenden Antrag (ohne oder mit mangelhafter Begründung) weitere Angaben, dann scheide Nr. 3101 Nr. 3 VV RVG begrifflich aus. Reicht der Anwalt also einen reinen Erbscheinsantrag ohne jegliche Begründung ein, dann käme Nr. 3101 VV RVG zur Anwendung. Fordert das Gericht, was es muss, im Anschluss ergänzende Angaben, dann käme doch wieder die Regelgebühr von 1,3 nach Nr. 3100 VV RVG zum Zuge. Die Lösung dieses Ergebnisses über einen Schadensersatzanspruch des Antragstellers gegen den Anwalt kommt der Durchschlagung eines gordischen Knotens gleich.
3.3.2 Der Umfang anwaltlicher Tätigkeit
Dem Umfang der anwaltlichen Tätigkeit misst auch die Mindermeinung zu Recht Bedeutung zu. Von der Sache her sei "eine volle Gebühr angemessen", wenn der Rechtsanwalt nach gerichtlicher Aufforderung für seinen Auftraggeber sachlich Stellung nimmt und ergänzend vorträgt. Wenn Umfang und Schwierigkeit einer Angelegenheit für das Entstehen der Regelgebühr nach Nr. 3100 VV RVG mit ausschlaggebend sind, dann ist nicht nachvollziehbar, warum der von Anfang an begründete Erbscheinsantrag zu einer gebührenrechtlichen Bestrafung des Anwalts führen soll. Zumal: Der Antrag auf Erteilung eines Erbscheins hat für den Antragsteller selbst in vergleichsweise überschaubar gelagerten Fällen stets erhebliche Bedeutung. Schließlich sind die §§ 2354, 2355 BGB auch für einen Juristen nicht "selbsterklärend".
3.3.3 Regelgebühr nach Termin oder Beweisaufnahme
Die Mindermeinung führt zu einem Systembruch: Neben der Verfahrensgebühr kann auch in Nachlasssachen eine Terminsgebühr in Höhe von 1,2 nach Nr. 3104 VV RVG entstehen, beispielsweise nach einer Beweisaufnahme oder mündlichen Erörterung. Das ist unstreitig. In einem solchen Fall soll nach der Mindermeinung dann allerdings – vorherige Begründung hin oder her – doch wieder die Regelgebühr nach Nr. 3100 VV RVG anfallen; für Nr. 3101 Nr. 3 VV RVG sei dann kein Raum mehr.
Käme es zu Beginn des Verfahrens auf eine Begründung nicht an, kann es dies auch später nicht, eben weil Erbscheinsanträge immer begründet werden müssen. Wäre den §§ 2354, 2355 BGB nicht genüge getan, käme es erst gar nicht zu einer Beweisaufnahme oder mündlichen Erörterung, die dann gebührenerhöhend wirken soll hinsichtlich der 1,3-Gebühr nach Nr. 3100 VV RVG. Der Antrag wäre unzulässig.
Die Mindermeinung führt dann dazu, dass nicht der Sachvortrag die Regelgebühr entstehen lässt, sondern die Teilnahme an bzw. Vertretung des Auftraggebers durch den Anwalt in einem Verhandlungs-, Erörterungs- oder Beweisaufnahmetermin. Diese Tätigkeit jedoch wird allein über die Gebühr nach Nr. 3104 VV RVG vergütet und nicht durch die dann – nach der Mindermeinung entstandene – 1,3-Regelgebühr.
Dadurch werden voneinander abgegrenzte Gebührentatbestände miteinander vermischt. Die Teilnahme an einem Erörterungstermin würde sich rückwirkend auf die grundsätzlich bereits entstandene Verfahrensgebühr auswirken.
3.3.4 Eingeschränkter Anwendungsbereich
Schließlich ist auch das Argument, Nr. 3101 Nr. 3 VV RVG drohe ins Leere zu laufen, wenn die Begründung eines Antrags ihre Anwendbarkeit ausschließe, nicht stichhaltig. Der Gebührentatbestand stellt eine Ausnahme von der Regel dar; nur um Nr. 3101 Nr. 3 VV RVG einen erweiterten Anwendungsbereich zu eröffnen, kann es nicht unerheblich sein, ob ein Antrag begründet wird oder nicht. Hinzu kommt, dass der Ausnahmetatbestand in erster Linie Verfahren auf Erteilung vormundschaftlicher bzw. ...