Leitsatz
Die wechselseitige Einsetzung von Eheleuten als Vorerben und der jeweils eigenen Abkömmlinge bzw. eines Adoptivkindes als Nacherben ist regelmäßig bereits im Wege der Auslegung als Einsetzung der Nacherben zu Schlusserben des Längstlebenden zu verstehen. Diese Erbeinsetzung des eigenen Adoptivkindes als Schlusserben des Längstlebenden ist gemäß der in § 2271 Abs. 2 Satz 2 BGB enthaltenen Auslegungsregel als wechselbezüglich zu der Einsetzung des Ehegatten als Vorerben anzusehen, auch wenn das Adoptivkind des einen zugleich das leibliche Kind des anderen Ehegatten ist.
OLG Frankfurt, Beschluss vom 12. März 2012 – 21 W 35/12
Sachverhalt
Die Erblasserin war in dritter Ehe mit dem vorverstorbenen A verheiratet. Aus der Ehe mit ihrem ersten Mann ging der Beteiligte zu 1) hervor. Dessen Tochter ist die Beteiligte zu 2). Der Beteiligte zu 1) wurde von A adoptiert. Dieser hatte aus seiner ersten Ehe einen Sohn und eine Tochter.
Am … April 1964 errichteten die Erblasserin und ihr Ehemann A ein gemeinschaftliches Testament, in dem sie sich gegenseitig zu befreiten Vorerben einsetzten. Weiter heißt es in dem Testament wörtlich:
Zitat
"Nacherben sollen sein hinter "
1) mir, der Ehefrau A1, geb. B, mein Sohn C, geboren am ….1942 bezw. dessen Abkömmlinge
2) mir, dem Ehemann A,
a) Der Sohn meiner Ehefrau A1, geb. B, bezw. dessen Abkömmlinge,
b) meine Tochter aus meiner ersten Ehe bezw. deren Abkömmlinge,
zu gleichen Teilen.“
Im Übrigen wird hinsichtlich des Inhalts des vom Amtsgericht Gießen am … November 1975 eröffneten Testaments auf Bl 3 f dA verwiesen. Nach dem Tod ihres Ehemannes errichtete die Erblasserin ein weiteres Testament, in dem sie ihre letztwillige Verfügung vom … April 1964 widerrief und die Beteiligte zu 2) als ihre Alleinerbin einsetzte (Bl 28. ff dA). Später ergänzte sie diese letztwillige Verfügung um einen weiteren letzten Willen, indem sie dem Beteiligten zu 1) seinen Pflichtteil entzog. Insoweit wird auf Bl 35 ff dA Bezug genommen.
Der Beteiligte zu 1) hat mit Schriftsatz vom 19. Mai 2011 beantragt, ihm einen Erbschein mit dem Inhalt zu erteilen, dass er Alleinerbe der Erblasserin geworden sei. Er hat sich dabei auf die letztwillige Verfügung vom … April 1964 gestützt und ausgeführt, die dort enthaltenen wechselseitigen Verfügungen habe die Erblasserin nicht mehr durch ihr späteres Testament wirksam widerrufen können. Diesem Antrag ist die Beteiligte zu 2) als in der späteren Verfügung Bedachte entgegengetreten.
Das Amtsgericht hat einen Beschluss nach § 352 Abs. 1 Satz 1 FamFG erlassen, wonach es die für die Erteilung des von dem Beteiligten zu 1) beantragten Erbscheins erforderlichen Tatsachen für festgestellt erachte. Gleichzeitig hat es die Erteilung des Erbscheins bis zur Rechtskraft des Beschlusses zurückgestellt.
Zur Begründung der Entscheidung, auf deren tatsächliche Feststellungen ergänzend Bezug genommen wird (vgl. Bl 88 f dA), hat das Gericht im Wesentlichen ausgeführt, aufgrund der Wechselseitigkeit der Verfügungen vom …. April 1964 habe die Erblasserin nach dem Tod ihres Mannes die dort vorgesehene Erbeinsetzung des Beteiligten zu 1) als (Nach- und Voll-)Erben nach dem Tod ihres Ehemannes nicht mehr wirksam widerrufen können. Es liege der klassische Fall der Wechselbezüglichkeit vor, bei dem die Eheleute sich gegenseitig zu Vorerben und jeweils ihren Stamm zu Nacherben eingesetzt hätten.
Gegen die ihr am 16. Januar 2012 (Bl 93 dA) zugestellte Entscheidung hat die Beteiligte zu 2) am 14. Februar 2012 Beschwerde eingelegt. Zur Begründung hat die Beteiligte zu 2) vorgetragen, das Gericht habe zu Unrecht eine Wechselseitigkeit der Verfügungen bejaht. Dabei habe das Gericht übersehen, dass das Testament vom 30. April 1964 eine Erbeinsetzung nach dem jeweils längstlebenden Ehegatten bereits nicht beinhalte. Nicht enthaltene Regelungen könnten aber auch nicht wechselbezüglich ist.
Den vorstehenden Überlegungen der Beteiligten zu 2) ist das Amtsgericht nicht gefolgt. Stattdessen hat es der Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache dem Oberlandesgericht zur Entscheidung über das Rechtsmittel vorgelegt. (...)
Aus den Gründen
Die Beschwerde ist zulässig und insbesondere fristgerecht innerhalb eines Monats nach Zustellung bei Gericht eingegangen (vgl. § 63 FamFG). Sie ist allerdings nicht begründet. Im Ergebnis zu Recht hat das Amtsgericht die letztwillige Verfügung aus dem Jahr 1964 für allein maßgeblich gehalten und dieser einen Inhalt beigemessen, demzufolge der Beteiligte zu 1) Alleinerbe nach der Erblasserin geworden ist.
Maßgeblich ist, ob die Erblasserin das gemeinschaftliche Testament der Eheleute aus dem Jahr 1964 widerrufen und insbesondere die Beteiligte zu 2) durch das spätere formgültige Testament vom ... Juni 2003 als Erbin einsetzen konnte oder ob ihr Widerrufsrecht mit dem Tod ihres Ehemannes gemäß § 2271 Abs. 2 Satz 1 BGB erloschen war. Dies hängt davon ab, ob das gemeinschaftliche Testament der Eheleute eine Erbeinsetzung des Beteiligten zu 1) als Vollerben der Erblasserin enthält und ob ferner diese etwaig zugunsten des Bete...