2.3.1.1 Abfindung "an Erfüllung statt", § 364 BGB
Ist der Pflichtteilsanspruch einmal geltend gemacht, besteht jedenfalls in der geltend gemachten Höhe, ggf. aber sogar insgesamt, kein Spielraum für Vereinbarungen zur Umgestaltung der Besteuerung. Nach dem BFH ist für den Pflichtteil stets der Nennwert der Pflichtteilsgeldforderung maßgeblich, auch wenn dem Pflichtteilsberechtigten – aber eben nach dem Stichtag – ein Sachwert als Abfindung gewährt wird. Für den Erben kann die Abgeltung des auf Geld gerichteten Pflichtteilsanspruchs mit Sachwerten an Erfüllung statt (§ 364 BGB), also im Tausch gegen die Befreiung von seiner Geldverbindlichkeit, aber negative Folgen haben: Sie gilt nämlich als Nachsteuertatbestand iSd § 13 a Abs. 5 ErbStG bei allen nach §§ 13 a, 13 b ErbStG begünstigten Vermögensarten. Auch der Pflichtteilsberechtigte erhält wegen der Vereinbarung der Abfindung nach dem für die Besteuerung maßgeblichen Stichtag seines Erwerbs vom Erblasser nicht die Begünstigungen nach §§ 13 a, b ErbStG.
Für den Erben ergibt sich oft aber keine definitive Nachsteuerbelastung wegen des Schuldenabzugs für die (erfüllte) Pflichtteilsschuld. Auch wenn der Abzug nämlich zunächst ggf. gekürzt wird (s. o., z. B. nach § 10 Abs. 6 Satz 4 ErbStG), weil der Erwerb zuvor nach §§ 13 a, b ErbStG entlastet ist, muss später bei Eintritt des Nachsteuertatbestandes nach § 13 a Abs. 5 ErbStG die Kürzung rückgängig gemacht werden.
2.3.1.2 Abfindung für den Verzicht auf die Geltendmachung des Anspruchs (§ 3 Abs. 2 Nr. 4 ErbStG)
Völlig anders, und für die Beteiligten deutlich günstiger wirkt ein Verzicht auf die Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs vor dessen Geltendmachung, für den sich der Verzichtende eine Abfindung versprechen lässt. Diese wird nach § 3 Abs. 2 Nr. 4 ErbStG aufgrund von Fiktion Besteuerungstatbestand trotz ihrer Vereinbarung nach dem Todesstichtag, sodass der Pflichtteilsberechtigte mit dem als Abfindung erworbenen Vermögen besteuert wird. Inzwischen erhält er in den Fällen die Begünstigungen der §§ 13 a, b ErbStG erstmals auch nach der Finanzverwaltung.
Nur in dieser Variante lässt sich auch ein zeitverzögerter Erwerb dadurch gestalten, dass nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. f ErbStG der Zeitpunkt des Verzichts, also der Vereinbarung der Abfindung zwischen den Beteiligten, den Zeitpunkt der Steuerentstehung markiert: In bei Pflichtteilsberechtigten vielleicht eher selteneren Fällen lässt sich dadurch eine Zusammenrechnung mit Vorzuwendungen nach § 14 ErbStG vielleicht vermeiden und konnte in der Vergangenheit, z. B. beim Übergang zum ErbStG 2009, auch eine ggf. günstigere Rechtslage mit höheren persönlichen Freibeträgen nach § 16 ErbStG faktisch optional in Anspruch genommen werden. Bei einer Verschlechterung der Gesetzeslage zwischen Erbfall und Vereinbarung wären künftig umgekehrt auch negative Folgen vom "zeitverzögert" Abgefundenen zu ertragen.
2.3.1.3 Zeitpunkt der "Geltendmachung" des Pflichtteils:
Die ausgeprägt unterschiedliche Behandlung der Abfindung für den geltend gemachten Pflichtteilsverzicht gegenüber der Abfindung für den Verzicht auf die Nichtgeltendmachung hat auch eine umfangreiche Rechtsprechung ausgelöst, ab wann der Pflichtteilsanspruch iSd ErbStG geltend gemacht ist: Unter Geltendmachung ist das ernstliche Verlangen auf Erfüllung des Pflichtteilsanspruchs zu verstehen, regelmäßig gegenüber dem Erben. Ein Auskunftsverlangen genügt nicht, eine Leistungsklage oder auch eine Stufenklage unter Einschluss des geltendgemachten Leistungsanspruchs sind dagegen ausreichend. Die fehlende Bezifferung des Anspruchs steht der Geltendmachung nicht entgegen.
Ob eine Abtretung des nicht geltend gemachten Anspruchs als "Verwertung" eine Geltendmachung iSd ErbStG darstellt, ist streitig. Unabhängig vom Zivilrecht wird überwiegend im ErbStG der Steueranspruch aber wohl erst durch die Zahlung an den Zessionar entstehen, weil der Zedent mit den Pflichtteil durch eine auf seine Rechnung gehende Leistung an Dritte erlangt hat. Insgesamt wird deshalb, auch wenn zur Sicherung von Zinsansprüchen eine schnelle Geltendmachung zivilprozessual häufig sinnvoll erscheint, von Beraterseite zumindest eine genaue Aufklärung der Mandanteninteressen – und der voraussichtlichen wirtschaftlichen Möglichkeiten des Erben – stattfinden müssen, um steuergünstige Gestaltungen nicht von vornherein unmöglich zu machen.