Wenn das ErbStG die Steuer für Pflichtteilserwerbe erst mit ihrer Geltendmachung entstehen lässt (§ 9 Abs. 1 Nr. 1a ErbStG), steckt dahinter der Gedanke, dass Pflichtteilsansprüche im Familienkreis nicht immer und insbesondere nicht immer in voller Höhe geltend gemacht werden. Aus diesem Grund ist in § 13 Abs. 1 Nr. 11 ErbStG auch ergänzend bestimmt, dass der Verzicht auf die Geltendmachung des Pflichtteils keine Schenkung des Pflichtteilsberechtigten gegenüber dem Erben darstellt. Unterschiedlich beurteilt wird, ob diese Vorschrift rein klarstellend wirkt oder vielleicht doch konstitutiven Charakter im Hinblick auf die Einordnung unter die sachlichen Steuerbefreiungen hat. Fest steht jedoch, dass die Befreiung sich auf den nicht geltend gemachten Pflichtteil beschränkt, während nach Geltendmachung des Pflichtteils (zur Abgrenzung s. o. unter 3.3.1.3) jeder bewusst unentgeltliche Verzicht zugunsten des Erben Schenkungsteuer auslöst und auch die Erbschaftsteuer für den Pflichtteil selbst nicht entfallen lässt.
Diese unterschiedliche Regelung mag man zu Recht kritisieren, weil letztlich keine Vermögenssubstanz bewegt wird und trotzdem eine zweifache Steuer entsteht; für die Gestaltung ist sie aber zu beachten. Steuerpflichtig als Schenkung sind damit auch nachträgliche Vereinbarungen zwischen Pflichtteilsberechtigten und Erben mit dem Charakter einer freigebigen Zuwendung, wenn der Pflichtteil etwa zinslos gestundet wird etc. Dagegen ist eine unmittelbare erste Vereinbarung zeitgleich mit der Geltendmachung des Pflichtteils zwecks zinsloser Stundung oder zinsloser Ratenzahlung unschädlich, weil der Anspruch originär erst – für Zwecke des ErbStG, nicht des Zivilrechts – mit der Vereinbarung steuerauslösend entsteht. Wiederum empfiehlt es sich also bei der Gestaltung, alle Details in der ersten, originären Vereinbarung zeitgleich mit Geltendmachung zu regeln.
Von etwaigen Schenkungen des Pflichtteilsberechtigten durch Verzicht sind die wahrscheinlich zahlenmäßig häufigeren Fälle abzugrenzen, in denen Erbe und Pflichtteilsberechtigter sich bei einem ernstlichen Streit über die Höhe des Pflichtteils, zumeist aufgrund der konträren Bewertung von Nachlassgegenständen, vergleichen und sich der Berechtigte dann mit weniger zufriedengibt, als er zunächst beansprucht hat. Da Vergleiche bei Streitfällen im ErbStG bei realitätsgerechtem Ergebnis regelmäßig maßgeblich sind, ist in diesem Fall auch der Pflichtteilsberechtigte nur mit dem niedrigeren Wert, den er vergleichsweise erhalten hat, zu besteuern. Der Erbe wiederum erhält keine "Schenkung".