Wie dargestellt, ist die konkrete Belastung eines Vermögensgegenstands durch latente Steuern zum Stichtag durch eine fiktive Veräußerung zu ermitteln. Stichtag im Pflichtteilsrecht ist der Zeitpunkt des Erbfalls, § 2311 BGB, und im Güterrecht der Zeitpunkt der Beendigung des Güterstands, im Scheidungsfall gem. § 1384 BGB der Zeitpunkt der Rechtshängigkeit des Scheidungsantrags. Die Steuer ist auf diesen Zeitpunkt unter Berücksichtigung der dann geltenden gesetzlichen Regelungen zu berechnen.
Problematisch bei der Berechnung allerdings ist, dass eine Besteuerung nicht nur von der Höhe des fiktiven Veräußerungsgewinns abhängt, sondern insbesondere von den persönlichen Besteuerungsmerkmalen des (fiktiv) verkaufenden Erben. Sind mehrere Erben vorhanden, ist also eine Erbengemeinschaft Schuldnerin des Pflichtteilsanspruchs, ist die einkommensteuerliche Belastung hinsichtlich des jeweiligen gesamthänderischen Anteils an einem Vermögensgegenstand für jeden Erben entsprechend zu berechnen, § 39 II Nr. 2 AO, und in Summe wertmindernd zu berücksichtigen.
Dazu stellt sich vor allen Dingen die Frage nach dem anzuwenden persönlichen Steuersatz des Erben auf die fiktive Veräußerung.
a) Allgemeingültiger Steuersatz
Zur Berechnung der latenten Steuerbelastung wird im Güterrecht vorgeschlagen, jedenfalls bei Einzelunternehmen und Personengesellschaften zur Vermeidung großer praktischer Probleme, auf einen standardisierten Steuersatz iHv 35 % (Abgeltungsteuer 25 %) zurückzugreifen.
Eine solche Pauschalierung bietet sich für die Besteuerung von Körperschaften an, da bei deren Besteuerung ein einheitlicher Steuersatz die Regel ist. Für natürliche Personen steht dieser allerdings im Widerspruch zu dem progressiven, die individuelle Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen berücksichtigenden Steuersatz. Mit steigendem Einkommen steigt auch der Steuersatz. Eine einheitliche flat-tax Besteuerung hat sich in der Bundesrepublik gerade nicht durchgesetzt und würde im Zuge der Pflichtteilsberechnung zu unrichtigen Ergebnissen führen. Dies gilt auch für den grundsätzlich einheitlichen Abgeltungssteuersatz. Liegt nämlich der persönliche Steuersatz des Erben unter 25 %, greift wiederum der persönliche Steuersatz, § 32d VI 1 EStG.
b) Anteilige Besteuerung vom Beginn des Kalenderjahres bis zum Stichtag
Ferner wird vorgeschlagen, dass die fiktive Steuerlast für das Jahr, in das der Stichtag fällt, anteilig vom Beginn des Kalenderjahres bis zum Erbfall bzw. zur Rechtshängigkeit des Scheidungsantrages ermittelt wird. Grundlage für diese Berechnung soll das zu versteuernde Einkommen aus den in diesem Zeitraum erzielten Einkünften sein.
Da es sich allerdings bei der Einkommensteuer um eine Jahressteuer handelt, § 2 VII S. 1 EStG, die gem. § 36 I EStG erst mit Ablauf des Veranlagungszeitraums (in der Regel des Kalenderjahres, § 25 I EStG) entsteht, ist der anzuwendende Tarif auch grundsätzlich nur für diesen Zeitraum errechenbar. Würde man – wie im Fall des unterjährigen Versterbens – die Besteuerung auf Grundlage des Einkommens am Stichtag vornehmen, wird man der dem Leistungsfähigkeitsprinzip geschuldeten progressiven Besteuerung nach dem Jahreseinkommen nicht gerecht: findet der Erbfall im Februar statt, wäre der Rückgriff ausschließlich auf den Monat Januar zur Feststellung der Leistungsfähigkeit des Pflichtteilschuldners wohl kaum repräsentativ.
c) Sachgerechte Lösung
Eine sachgerechte Lösung zur Ermittlung des auf die fiktive Veräußerung eines Nachlassgegenstandes zum Stichtag anwendenden Steuersatzes, bietet der Rückgriff auf das zu versteuernde Einkommen der letzten 12 vollen Monate vor dem Monat, in den der Stichtag fällt. Hieraus ist zunächst die Gesamtsteuerbelastung ohne Berücksichtigung einer (fiktiven) Veräußerung des Nachlassgegenstandes zu berechnen und sodann die anfallende Steuer unter Berücksichtigung der Verkaufshypothese. Die Differenz dieser beiden Werte ergibt die dem Nachlassgegenstand immanente latente Steuerlast unter Berücksichtigung der individuellen Leistungsfähigkeit des Pflichtteilschuldners. Denn durch die Zugrundelegung von zwölf vollen Monaten, wird dem progressiven Besteuerungssystems Rechnung getragen, das die persönliche Steuerbelastung über einen Veranlagungszeitraum von einem vollen Jahr feststellt, § 2 VII S. 1 EStG (Jahressteuer). Gerade diese individuelle Steuerbelastung soll im Rahmen der fiktiven Veräußerung des Nachlassgegenstands auschlaggebend sein, so das...