Richtigerweise ist die Berücksichtigung der latenten Steuern für Betriebs- wie Privatvermögen auch im Pflichtteilsrecht unabhängig von der Bewertungsmethode oder einer vom Erben durchgeführten oder beabsichtigten Veräußerung – also stets – zu bejahen. Dem liegen die folgenden Überlegungen zugrunde:
aa) Konsequenz der Bewertungsmethode
Wie bei der Ermittlung des Zugewinns wird dem Nachlasswert iSd § 2311 I S. 1 BGB in der Regel der "gemeine Wert" zugrunde gelegt. Nach dem BGH kann dabei auf die Legaldefinition des § 9 II BewG zurückgegriffen werden. Demnach wird der gemeine Wert durch den Verkaufspreis bestimmt, der im gewöhnlichen Geschäftsverkehr nach der Beschaffenheit des Wirtschaftsgutes bei einer Veräußerung – also unter Berücksichtigung der fiktiven Erlösschmälerungen die notwendig mit einem Verkauf einhergehen (wie etwa Maklerkosten) – zu erzielen wäre. Der Pflichtteilsberechtigte ist wirtschaftlich so zu stellen, als sei der Nachlass beim Tod des Erblassers in Geld umgesetzt worden.
Wie bei der Bewertung eines Vermögensgegenstands im Güterrecht sind dabei auch beim Pflichtteil die bei einer (hypothetischen) Veräußerung zum Stichtag bestehenden steuerrechtlich relevanten tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse, mithin eine entstehende bzw. "gedachte Steuerlast" – als Konsequenz dieser Bewertungsmethode – zu berücksichtigen. Insoweit handelt es sich auch im Rahmen der Pflichtteilsberechnung um unvermeidbare Veräußerungskosten des Erben, die den Wert des Erbes am Stichtag schmälern.
Bei der latenten Steuer handelte es sich auch nicht um einen künftige oder auf den Verkaufsfall aufschiebend bedingte Verbindlichkeit iSd 2313 I BGB, dessen Anwendung eine Ausnahme im Pflichtteilsrecht vom strengen Stichtagsprinzip ist. Vielmehr handelt es sich um einen zum Stichtag relevanten Faktor bei der Bewertung des Vermögensgegenstands, der in der Verkaufsfiktion fußt.
bb) Kein Verstoß gegen das Stichtagsprinzip
Die Berücksichtigung der latenten Steuern stellt auch keinen Verstoß gegen das Stichtagsprinzip dar. Bewertungsrelevant sind die Wertzuwächse bzw. stillen Reserven, die sich bis zum Stichtag gebildet haben, mithin bereits im Keim angelegt sind. Solche wertbildende oder wertbeeinflussende Faktoren, die bereits zum Stichtag veranlasst waren, sich allerdings erst später manifestieren, können Berücksichtigung finden (Wurzeltheorie). Hierdurch wird der Ungenauigkeit eines starren Bewertungssystems Rechnung getragen.
cc) Pflichtteilsanspruch als Geldanspruch
Wie der Zugewinnausgleichsanspruch ist auch der Pflichtteilsanspruch im deutschen Recht als schuldrechtlicher Geldanspruch ausgestaltet.
Hätte sich der Gesetzgeber für ein dingliches Noterbrecht des Enterbten am Nachlass (z. B. wie in Italien) entschieden, würde die einem Nachlassgrundstück immanente "gedachte Steuer" den Pflichtteilsberechtigten automatisch treffen. Der Gesetzgeber hat allerdings (nur) deswegen keine dingliche Beteiligung des Pflichtteilsberechtigten am Nachlass gewählt, damit der von der Erbfolge Ausgeschlossene nicht Rechtsnachfolger des Erblassers und entsprechend Mitglied der Erbengemeinschaft wird. Durch diese schuldrechtliche Variante wird der Pflichtteilsberechtigte (wegen der Notwendigkeit der Geltendmachung, der Durchsetzbarkeit, Verjährung etc.) gegenüber einem dinglich Berechtigten schwächer gestellt. Eine wirtschaftliche Besserstellung des Pflichtteilsberechtigten durch die Nichtberücksichtigung einer latenten Steuer zuungunsten des Erben wäre widersprüchlich und ist durch die Wahl dieser rechtstechnischen Gestaltung augenscheinlich nicht gewollt.
dd) Gleichlauf Erb- und Güterrecht
Wie dargestellt, schlägt die Berücksichtigung der latenten Steuern beim Zugewinn wegen der engen Verzahnung von Erb- und Güterrecht an verschiedenen Stellen auf das Erbrecht und – insbesondere im Zuge des § 1371 BGB – auf das Pflichtteilsrecht durch. Eine einheitliche Behandlung der latenten Steuern ist daher auch aufgrund des Gleichaufs von Erb- und Familienrecht konsequent und wünschenswert.
ee) Jüngere Entwicklungen im Einkommensteuerrecht (Verlängerte Spekulationsfristen)
Im Zuge der Frage nach der Berüc...