Leitsatz
Ist der Gegenstand eines Rechtsstreits das materielle Erbrecht der Parteien und führt die Entscheidung des Rechtsstreits dazu, dass eine streitige Erbenstellung oder erbrechtliche Berechtigung für diese rechtskräftig entschieden wird, so handelt es sich um einen Streit über Erbschaftsansprüche im Sinne des § 15 der Anlage zu Art. 20 des Konsularvertrags zwischen der Türkischen Republik und dem Deutschen Reich vom 28.5.1929.
BGH, Urteil vom 21. Oktober 2015 – IV ZR 68/15
Sachverhalt
Die Parteien sind Brüder und wohnen in Deutschland. Ihr Vater war türkischer Staatsangehöriger und lebte zuletzt in der Türkei; er verstarb am 15.6.1994 in Izmir. Erben waren seine vier Söhne, darunter die beiden Parteien, und seine Ehefrau, die Mutter der Geschwister. Zur Erbschaft gehörte ein Haus in Izmir. Die Erben veräußerten das Haus mit Vertrag vom 9.3.2011 zu einem Preis von 100.000 Türkischen Lira. Der Käufer bezahlte hiervon 90.000 Türkische Lira. Diese verteilten die Erben unter sich. Den Restkaufpreis behielt der Käufer zunächst ein.
Im Jahr 2012 reiste der Beklagte in die Türkei und erhielt vom Käufer den restlichen Kaufpreis von 10.000 Türkischen Lira. Hiervon zahlte er ein Viertel an einen Bruder aus. Er sagte dem Kläger mehrfach zu, ihm den zustehenden Anteil auszuzahlen. Mit Anwaltsschreiben vom 7.3.2013 forderte der Kläger den Beklagten auf, ihm 2.500 Türkische Lira – nach seiner Behauptung umgerechnet 1.082 EUR – als seinen Anteil auszuzahlen. Nachdem der Kläger einen Vollstreckungsbescheid über 1.082 EUR erwirkte, zahlte der Beklagte in zwei Raten insgesamt 300 EUR.
Der Beklagte hat Einspruch gegen den Vollstreckungsbescheid eingelegt. Das Amtsgericht hat den Vollstreckungsbescheid – abzüglich der erfolgten Zahlungen und eines Teils der Nebenforderungen – aufrechterhalten. Das Landgericht hat die Klage auf die Berufung des Beklagten, der auch die internationale Zuständigkeit gerügt hat, als unzulässig abgewiesen. Der Kläger verfolgt sein Begehren mit der zugelassenen Revision weiter.
Aus den Gründen
Die Revision ist begründet.
I. Das Berufungsgericht – dessen Entscheidung in ZEV 2015, 588 veröffentlicht ist – meint, es fehle an der internationalen Zuständigkeit. Auf den Streitfall sei § 15 S. 1 des deutsch-türkischen Nachlassabkommens anzuwenden (in Kraft getreten als Anlage zu Art. 20 des Konsularvertrags zwischen der Türkischen Republik und dem Deutschen Reich vom 28.5.1929, RGBl 1930 II S. 747; 1931 II S. 538; BGBl 1952 II S. 608; fortan: Nachlassabkommen); danach sei nur die internationale Zuständigkeit der türkischen Gerichte eröffnet. § 15 des Nachlassabkommens begründe eine ausschließliche Zuständigkeit. Der Rechtsstreit betreffe einen Erbschaftsanspruch im Sinne dieser Regelung. Diese gelte für Streitigkeiten unter (potentiell) erbrechtlich Berechtigten; es komme nicht darauf an, ob eine Vereinbarung über die Verteilung des Erlöses aus dem Hausverkauf vorliege oder ob der Kläger seinen Anspruch auf unerlaubte Handlung oder Bereicherung stütze. Eine einschränkende Auslegung aufgrund der deutschen Staatsangehörigkeit des Beklagten komme nicht in Betracht.
II. Das hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. Die deutschen Gerichte sind international zuständig. Eine ausschließliche internationale Zuständigkeit der türkischen Gerichte gemäß § 15 des Nachlassabkommens besteht nicht. Vielmehr richtet sich die internationale Zuständigkeit nach dem Wohnsitz des Beklagten (Art. 2 EuGVVO aF bzw. – sofern die Streitigkeit gemäß Art. 1 Abs. 2 lit. a EuGVVO aF nicht in den Anwendungsbereich der EuGVVO aF fallen sollte – §§ 12, 13 ZPO). Der Beklagte hat seinen Wohnsitz in Deutschland.
1. Die Voraussetzungen von § 15 des Nachlassabkommens sind – anders als das Berufungsgericht meint – nicht erfüllt.
§ 15 Satz 1 des Nachlassabkommens lautet:
"Klagen, welche die Feststellung des Erbrechts, Erbschaftsansprüche, Ansprüche aus Vermächtnissen sowie Pflichtteilsansprüche zum Gegenstand haben, sind, soweit es sich um beweglichen Nachlass handelt, bei den Gerichten des Staates anhängig zu machen, dem der Erblasser zurzeit seines Todes angehörte, soweit es sich um unbeweglichen Nachlass handelt, bei den Gerichten des Staates, in dessen Gebiet sich der unbewegliche Nachlass befindet."
Die Zuständigkeit nach dieser Norm setzt also voraus, dass Ge-genstand des Rechtsstreits die Feststellung des Erbrechts, Erbschaftsansprüche, Ansprüche aus Vermächtnissen oder Pflichtteilsansprüche sind. Daran fehlt es.
a) Maßgeblich für die Frage, welche Ansprüche Gegenstand des Rechtsstreits sind, ist der Sachvortrag des Klägers. Dabei kommt es nicht auf die rechtliche Qualifikation durch den Kläger an, sondern darauf, auf welche Tatsachengrundlage der Kläger seinen Anspruch stützt und inwieweit der Kläger auf dieser Tatsachengrundlage bestimmte Ansprüche verfolgt. Wie die Revision zutreffend geltend macht, erfasst § 15 des Nachlassabkommens nicht die vom Kläger im Rechtsstreit erhobenen Ansprüche.
b) Im Streitfall kommen allein Erbschaftsansprüche iS des § 15 des Nachlassabkommens in Bet...