Die Unterscheidung zwischen dem zwingend erforderlichen objektiven Kriterium, der subjektiv vom Willen des Erblassers getragen sein muss, und dem rein subjektiven Kriterium ist bereits thematisiert worden. In seiner Prüfungssystematik entspricht dies dem aus dem Strafrecht bekannten Zusammenspiel von objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmalen. Anders als im Strafrecht kann hier jedoch der objektive Tatbestand nachträglich mit Wirkung für die Vergangenheit eintreten (s. Beispiel 2, erste Abwandlung). Es drängt sich mithin die Frage auf, ob der subjektive Tatbestand auch mit Wirkung für die Zukunft – also vorwirkend bzw. im Hinblick auf ein künftiges objektives Kriterium – vorliegen kann.
Beispiel 3
Ein in Spanien lebender geschäftsfähiger Senior mit niederländischer Staatsangehörigkeit bekundet gegenüber seiner deutschen Familie seinen ausdrücklichen Willen, im Falle einer Demenz in jedem Falle "in seine gefühlte Heimat Aachen" zurückverlegt werden zu wollen. Ein halbes Jahr später tritt Geschäftsunfähigkeit ein. Entsprechend dem Willen des Seniors beschließt die Familie den Umzug nach Deutschland. Drei Monate nach Ankunft in Aachen verstirbt der Senior.
Bei Anwendung des Grundsatzes, dass ein objektives Kriterium – hier der Umzug – für den Wechsel des gewöhnlichen Aufenthalts nur maßgeblich sein kann, wenn er subjektiv vom Willen getragen ist und hierfür die Geschäftsfähigkeit des Erblassers notwendig ist, käme man zum Ergebnis, dass in Ermangelung der Geschäftsfähigkeit der gewöhnliche Aufenthalt in Spanien verblieben ist. Dies ist freilich unbillig, bekundete der Erblasser doch bereits zu Zeiten seiner Geschäftsfähigkeit, dass er bei Bedingungseintritt der Demenz genau diesen Aufenthaltswechsel wolle. Dies stellt mithin eine Ausnahme zum Grundsatz, dass ein Aufenthaltswechsel nur bei Geschäftsfähigkeit möglich ist, dar.
Diese Ausnahme widerspricht auch weder den Regelungen der Rechtswahl aus Art. 22 EuErbVO, nach denen im obigen Beispiel nur die Wahl des niederländischen, nicht aber des deutschen Rechts möglich wäre, noch sind die formalen Anforderungen des Art. 22 EuErbVO zu wahren. Denn der Erblasser wählt hier kein Recht, sondern bekundet nur seinen Willen, dass ein objektives Kriterium, was für den gewöhnlichen Aufenthalt maßgeblich sein könnte, umgesetzt wird. Er hat dabei weder die Sicherheit, dass das objektive Kriterium auch wirklich eintritt und damit sein gewöhnlicher Aufenthalt gewechselt wird. Noch hat er Einfluss darauf, ob die Ermittlung seines gewöhnlichen Aufenthalts nicht wegen anderer, schwerer wiegender tatsachenbezogener Kriterien nicht zu einem anderen, beispielsweise spanischen gewöhnlichen Aufenthalt führen würde.