Witwer W hat zwei Kinder A und B. A möchte ein Grundstück mit einem Verkehrswert von 1.000.000 EUR erwerben. Er kann dies zu einem Preis von 800.000 EUR tun, da der bisherige Eigentümer aufgrund seiner Scheidung unter wirtschaftlichem Druck steht. W wendet A daher zweckgebunden 800.000 EUR zu, damit er dieses Grundstück erwerben kann, was dann auch geschieht. Kurz darauf stirbt er, A ist sein Alleinerbe. Wie hoch ist der Pflichtteilsergänzungsanspruchs des weiteren Sohnes B nach § 2325 BGB?
Wie hoch wäre er, wenn das Grundstück bei einem Verkehrswert von 1.000.000 EUR von A zu teuer für 1,2 Millionen EUR erworben wäre und W diesen Betrag zweckgebunden zur Verfügung gestellt hätte?
Lösung: Die Behandlung mittelbarer Schenkungen im Rahmen der Pflichtteilsergänzung wird kaum diskutiert. Eine Ausnahme gilt für den Spezialfall der widerruflichen Bezugsberechtigung bei Lebensversicherungen, wo der BGH im April 2010 ein Grundsatzurteil gefällt hat und die Schenkung nach § 2325 BGB – geradezu künstlich – in einen für die Pflichtteilsergänzung maßgeblichen "Entreicherungsgegenstand" Rückkaufswert in der letzten Sekunde vor dem Tod und "Bereicherungsgegenstand" Versicherungssumme aufgespalten hat, wobei die Entreicherung dann wiederum durch die Höhe der herbeigeführten Bereicherung nach oben beschränkt sein soll. Das Urteil und die Konstruktion des "gespaltenen Schenkungsbegriffs" hat vielfach mE berechtigte Kritik erfahren.
Es entspricht der anerkannten Sichtweise, dass Schenkungsgegenstand im Fall einer mittelbaren Schenkung nicht das ist, was der vermittelnde Dritte erhält, sondern das, was letztlich in das Vermögen des Beschenkten fließt. Gegenstand der Schenkung sind nicht die Aufwendungen, die der Schenker aus seinem Vermögen an die Mittelsperson erbringt, sondern der Gegenwert dieser Aufwendungen, den der Beschenkte aus dem Vermögen der Mittelsperson erhält. Denn das ist der Vermögenswert, um den der Beschenkte infolge der mittelbaren Schenkung bereichert ist. Was im Rahmen des § 516 BGB gilt, muss konsequenterweise auch bei § 2325 BGB Anwendung finden. Im Pflichtteilsergänzungsrecht sind auch mittelbare Schenkungen relevant und der Berechnung zugrundezulegen. Als teleologische Erwägung kann man heranziehen: Nach den Motiven zum BGB beruht die Vorschrift des § 2325 BGB auf der Überlegung, dass der Erblasser verpflichtet ist, "den Pflichtteil so zu hinterlassen, wie wenn die Schenkung nicht erfolgt wäre". Hätte W das Grundstück für sich gekauft und nicht mittelbar an A verschenkt, wäre das Grundstück mit Wert 1.000.000 EUR im Nachlass. Der Pflichtteilsberechtigte muss i. Ü. die Entscheidung der Parteien für den effizienteren Weg zur Abkürzung des Grundstückserwerbs ohne Zwischenerwerb des W akzeptieren. Der Ergänzungsanspruch beträgt daher in beiden Fällen 250.000 EUR.
Der BGH würde dagegen im Ausgangsfall auf 200.000 EUR Teilhabe an der Entreicherung und in der Abwandlung auf 250.000 EUR Teilhabe an der durch die herbeigeführte Bereicherung gedeckelten Entreicherung kommen. So hat sich der wissenschaftliche Mitarbeiter am BGH, Rudy, dezidiert dahin geäußert, dass die vom BGH auf Lebensversicherungsverträge angewandte Argumentation sich generell auf alle mittelbaren Zuwendungen übertragen lasse. Schenkungsgegenstand im Valutaverhältnis und Bereicherungsgegenstand sei zwar das Grundstück und nicht etwa der Kaufpreis, ergänzungsrelevanter Entreicherungsgegenstand aus dem Erblasservermögen sei aber der aufgewendete Kaufpreis – soweit er kausal zu einer Bereicherung geführt hat.