Witwer W hat zwei Kinder A und B und ein werthaltiges Mietshaus. Er möchte das Haus an seinen Sohn A übergeben, Sohn B soll nach Möglichkeit nichts erhalten. Er überlegt nun, ob er dem Sohn A das Haus unter Totalnießbrauchsvorbehalt übergeben soll. Sein Berater teilt ihm allerdings mit, dass bei einem Nießbrauchsvorbehalt die 10-Jahres-Frist des § 2325 BGB nicht zu laufen beginne, und schlägt deshalb eine Übergabe gegen Leibrente vor. Dadurch könne die 10-Jahres-Frist ausgehebelt werden. Korrekt?
Lösung: Der Nießbrauchsvorbehalt verhindert im Pflichtteilsrecht je nach dessen Umfang den Fristlauf des § 2325 Abs. 3 BGB. Das gilt auch nach der Erbrechtsreform zum 1.1.2010 nach fast einhelliger Auffassung unverändert weiter, sodass die Vorzüge des Abschmelzungsmodells der Neuregelung nicht greifen.
Gestaltungsalternative ist daher die Übergabe gegen Leibrentenvereinbarung nach den §§ 759 ff BGB. Es handelt sich dann um ein (teil-)entgeltliches Geschäft, bei dem der Barwert der Rente, der sich nach der statistischen Lebenserwartung des Rentenberechtigten richtet, vom Wert des Übergabeobjekts abzuziehen ist. Nach hM kommt dadurch die Pro-rata-Regelung des § 2325 Abs. 3 Satz 2 BGB zur Anwendung. Plakativ wird zur "Flucht in die Leibrente" geraten.
Diese Auffassung ist aber im Hinblick auf den vom BGH geforderten (wesentlichen) Genussverzicht des Schenkers nicht über jeden Zweifel erhaben, da aus wirtschaftlicher Sicht ein ähnliches Ergebnis eintritt. Diese Meinung muss somit ihre gerichtliche Feuertaufe noch bestehen. G. Müller führt aus: Wer Wert auf einen sicheren Fristlauf legt, wird daher die Vereinbarung einer Leibrente – v. a. ausgerichtet auf die Höhe der erzielbaren Mieteinnahmen – vermeiden, zumal es erklärte Absicht des BGH ist, effektiven Pflichtteilsschutz auch vor "Umgehungsgestaltungen" zu gewährleisten.
Mit der Vereinbarung einer Leibrente entkommt man aber in der Tat den Problemen der Niederstwertrechtsprechung zu § 2325 Abs. 2 Satz 2 BGB bei Nutzungsvorbehalten, da bei Vollzug des Vertrags im relevanten Zeitpunkt des § 516 BGB eine Gegenleistung gegeben ist. Von Anfang an liegt insoweit nur eine (gemischte) Schenkung vor, die nach Beendigung der Pflicht zur Leibrentenzahlung nicht größer werden kann.
Nicht eindeutig geklärt ist die Anwendung des Niederstwertprinzips nach § 2325 Abs. 2 Satz 2 BGB auf gemischte Schenkungen bei Wertveränderungen zwischen Schenkungsvollzug und Erbfall. Im Sinne der Abzugsmethode ist auch das OLG Celle bei einer Pflichtteilsergänzung aus einer Grundstücksübergabe verfahren, indem es vom maßgeblichen (weil niedrigeren) Wert des verschenkten Grundstücks zum Zeitpunkt des Erbfalls die übernommene Darlehensverpflichtung und die kapitalisierte Wart und Pflege abzog.