Witwe W hat die Kinder A und B. Kind A erbringt überobligatorische Leistungen, die nach § 2057 a BGB auszugleichen wären. Der reale Nachlass ist allerdings dürftig. W hat aber A eine ergänzungspflichtige Schenkung in Höhe von 100.000 EUR gemacht. Die angemessene Ausgleichung betrüge 50.000 EUR. Wie hoch ist der Ergänzungspflichtteil des B nach § 2329 BGB?
Lösung: Das KG hat folgenden Leitsatz gemacht: Die Ausgleichungspflicht des § 2057 a BGB kann nur bei einem Pflichtteilsergänzungsanspruch nach § 2325 BGB von Bedeutung sein, nicht jedoch im Rahmen des Pflichtteilsergänzungsanspruchs nach § 2329 BGB, bei dem es an einem vorhandenen bzw. zur Befriedigung des Ergänzungsberechtigten ausreichenden Nachlass fehlt. Es stellt die These auf, dass Ausgleichung gemäß den §§ 2050–2057 a BGB nur in Betracht kommen könne, wenn ein Nachlass vorhanden sei und beruft sich hierbei argumentativ auf § 2057 a Abs. 3 BGB. Auch aus der Entscheidung des BGH ergebe sich, dass § 2057 a BGB nur im Rahmen eines Pflichtteilsergänzungsanspruchs nach § 2325 BGB von Bedeutung sein könne, nicht jedoch im Rahmen des Anspruchs aus § 2329 BGB, bei dem es an einem genügenden Nachlass fehle. Hier sei ausschließlich § 2330 BGB maßgeblich und insoweit lehnt das KG im konkreten Fall eine Pflichtschenkung ab. Es käme daher auf einen Anspruch des B von 25.000 EUR.
Es handelt sich um das Problem eines doppelt fiktiven Nachlasses: Im Normalfall einer ausgleichungspflichtigen Zuwendung nach § 2050 BGB zählt diese zum fiktiven Nachlass und diese Ausgleichung wird auch im Rahmen der Pflichtteilsergänzung berücksichtigt. Hätte also A neben dem Geschenk etwa eine Ausstattung von 50.000 EUR erhalten, betrüge der Ergänzungsanspruch des B 37.500 EUR, da bezüglich des fiktiven Nachlasses von 100.000 EUR eine Ausgleichung stattzufinden hätte. Damit bestünde auch der Anspruch aus § 2329 BGB in derselben Höhe.
§ 2057 a BGB ist den Regeln der Ausgleichung nachgebildet, nur eben umgekehrt: keine fiktive Hinzurechnung, sondern Abzug. Nach allgemeiner Auffassung sind hier dieselben Maßstäbe der Fiktionen anzuwenden, und zwar sowohl bei § 2325 BGB als auch bei § 2329 BGB. Eine Trennung zwischen dem Ergänzungsanspruch und dem Haftungsanspruch aus § 2329 BGB ist weder möglich noch geboten. Auch der BGH thematisiert in der eben zitierten Entscheidung eine Ausgleichung nach § 2057 a BGB im Rahmen von § 2329 BGB. Die Ausgleichung ist dann entsprechend § 2057 a Abs. 3 BGB am fiktiven Schenkungsnachlass vorzunehmen, hier 100.000 EUR. Bei einem Ausgleichungsbetrag von 50.000 EUR ergibt sich ein Anspruch von 12.500 EUR. Dadurch könnte eine unterlassene Pflegevereinbarung bzw. eine nachträgliche Entgeltvereinbarung abgemildert werden, wobei die Hürde des § 2057 a BGB höher und unsicherer ist.