Witwe W hat zwei Kinder A und B. Der Nachlass beträgt 100.000 EUR. Sie hat dem Kind A eine Ausstattung in Höhe von ebenfalls 100.000 EUR gemacht. W verstirbt 2010. Alleinerbe ist das Kind A, Erbfall und enterbendes Testament sind dem Kind B im selben Jahr bekannt. Er macht nichts. Im Jahre 2014 erfährt er zufällig von der Ausstattung des Bruders A, woraufhin er wütend über die zusätzliche Bevorzugung des A doch seinen Pflichtteil von 1/4 möchte. Kann er von seinem Bruder 25.000 EUR Zahlung aufgrund der Ausstattung verlangen oder wäre dieser Anspruch wie der ordentliche Pflichtteil von 25.000 EUR am Nachlass verjährt?
Lösung: Zum alten Recht des § 2332 Abs. 1 BGB aF hat das OLG Karlsruhe entschieden, dass die für den Verjährungsbeginn maßgebliche "beeinträchtigende Verfügung" iSv § 2332 Abs. 1 BGB bei einem Pflichtteilsanspruch aus § 2303 Abs. 1 BGB allein die enterbende letztwillige Verfügung ist. Auch bei einem ausgleichungspflichtigen Vorempfang (§ 2316 Abs. 1 BGB) komme es für den Beginn der Verjährung daher nicht darauf an, wann der pflichtteilsberechtigte Kenntnis von der Ausstattung erhalten hat, anders als bei einer Schenkung im Rahmen des Pflichtteilsergänzungsanspruchs gem. § 2325 BGB. Es gilt der Grundsatz, dass für den Verjährungsbeginn keine Kenntnis über den Nachlassbestand und damit über Ausmaß und Umfang der Beeinträchtigung des Erbrechts erforderlich ist. Sind dem Pflichtteilsberechtigten der Erbfall und die ihn beeinträchtigende letztwillige Verfügung bekannt geworden, so ist es seine Sache, sich rechtzeitig innerhalb der Verjährungsfrist über alle für die Pflichtteilsfrage in Betracht kommenden Verhältnisse, insbesondere über Bestand und Wert der Nachlassmasse, zu unterrichten. Da der Ausgleichungspflichtteil des § 2316 Abs. 1 BGB nur unselbstständiger Teil des ordentlichen Pflichtteilsanspruchs ist, beginnt die Verjährungsfrist einheitlich auch für diesen, sobald dem Pflichtteilsberechtigten lediglich die enterbende Verfügung, nicht aber die die Erhöhung nach § 2316 Abs. 1 BGB auslösende lebzeitige Zuwendung bekannt geworden ist.
Nach aA war dagegen auch beim gewöhnlichen Ausgleichungspflichtteil die Kenntnis der lebzeitigen Verfügung, d. h. hier der Ausstattung, erforderlich. Dass ein einheitlicher Anspruch einem unterschiedlichen Verjährungsbeginn unterliegen kann, ist nichts dem geltenden Recht völlig Fremdes, wie der Blick ins Schadensrecht zeigt. Hierfür spricht auch die Parallele zur Verjährung von Ansprüchen aus § 2325 BGB und § 2316 Abs. 2 BGB, wo auch nach hM jeweils die Kenntnis der lebzeitigen Verfügung erforderlich ist, damit die Verjährungsfrist zu laufen beginnt.
Seit der Erbrechtsreform richtet sich die Verjährung des Ausgleichungspflichtteils nach § 199 Abs. 1 BGB, d. h. erforderlich ist auch die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis von den den Anspruch begründenden Umständen. Nach Auffassung von Herzog ist daher bei § 2303 BGB die Kenntnis von ausgleichungspflichtigen Zuwendungen erforderlich, denn nach der neuen Rechtslage gehören diese zu den anspruchsbegründenden Umständen (§ 2316 BGB). Es bleibt abzuwarten, ob die hM zu § 199 Abs. 1 BGB anders verfahren wird als bei § 2332 Abs. 1 BGB aF.
Auf einen Blick
Das Pflichtteilsrecht kennt viele aktuelle Fragen, die teils höchstrichterlich geklärt, teils noch ungelöst sind. Der Verfasser des vorstehenden Beitrags geht 20 dieser Fragen nach, wobei sich der Bogen vom Fristlauf nach § 2306 BGB über etliche Fragen zum Ergänzungspflichtteil nach § 2325 BGB bis zur Verjährung des Pflichtteils bei ausgleichungspflichtigen Zuwendungen erstreckt.
Autor: Dr. Andreas Schindler , LL.M., Rechtsanwalt, Villingen-Schwenningen