Das Urteil überzeugt aus zwei Gründen nicht.
1. Nach § 3 Abs. 1 Nr. 1, 3. Alt. ErbStG wird der Erwerb aufgrund eines geltend gemachten Pflichtteils besteuert. Das wird so verstanden, dass der nach § 2317 Abs. 1 BGB erworbene Pflichtteilsanspruch besteuert wird, wenn ihn der Pflichtteilsberechtigte geltend gemacht hat, also entgegen dem missverständlichen Gesetzeswortlaut nicht erst die Geldzahlung in Erfüllung des Anspruchs (FG München v. 24.8.2005 – 4 K 4361/03, EFG 2005, 1887 m. A. Loose; Meincke, ErbStG, 16. Aufl., § 3 ErbStG Rn 52).
Zu Anbeginn konnte sich die Frage nicht stellen, ob das auch für den Erben des Pflichtteilsberechtigten gilt. Denn auf die Geltendmachung kam es auch bei der Besteuerung des Pflichtteilberechtigten nicht an. Nach § 1 Abs. 1 ErbStG 1906 war Gegenstand der Erbschaftsteuer der Erwerb von Todes wegen. Dazu gehörte nach Abs. 2 der Vorschrift, was als Pflichtteil erworben wird. Deshalb hat das RG (v. 10.10.1911 – Rep. VII. 120/11, RGZ 77, 238) entschieden, dass der Erwerb des Pflichtteilsanspruchs der Erbschaftsteuer unterliegt. Da der Pflichtteilsanspruch nicht ausgeschlagen werden kann, mag, so das RG, "eine Unbilligkeit darin gefunden werden, dass der Pflichtteilsberechtigte die Steuer auch dann zu entrichten hat, wenn er den Pflichtteilsanspruch nicht erwerben will." Aber das rechtfertige keine andere Entscheidung.
Die Änderung kam mit dem ErbStG 1919, das die Erbschaftsteuer auf den Erwerb von Todes wegen als Erbanfallsteuer (EASt) fortführte. Nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG 1919 galt nur noch der Erwerb aufgrund eines geltend gemachten Pflichtteilsanspruchs als Erwerb von Todes wegen. Damit korrespondierend wurde in § 25 Abs. 2 S. 2 ErbStG 1919 bestimmt, dass Verbindlichkeiten aus Pflichtteilsrechten nur insoweit abgezogen werden können, als der Anspruch auf den Pflichtteil geltend gemacht ist.
Nach Berolzheimer (Erbschaftsteuergesetz 1919, S. 107) stellt sich die neue Rechtslage so dar: "Solange der Pflichtteilsanspruch nicht geltend gemacht wird, schuldet der Pflichtteilsberechtigte, bezw. im Falle seines Todes dessen Erbe keine EASt." Kipp (Erbschaftsteuergesetz 1925, § 2 Anm. 56) sagt 1927: "Indem das Erbschaftsteuerrecht erklärt, dass der Pflichtteilsanspruch nur zu versteuern ist, wenn er geltend gemacht wird, sieht es von seinem Standpunkt aus den Pflichtteilsanspruch als einen (richtig: ein; Einfügung von mir) durch die Tatsache der Geltendmachung bedingtes Recht an". Hensel sagt 1933 (Steuerrecht, 3. Aufl., S. 216): "Daher gilt nur der geltend gemachte Pflichtteilsanspruch als Erwerb von Todes wegen (§ 2 I 1), nicht das inane ius". Und 1941 sagt Megow (Erbschaftsteuergesetz, 2. Aufl., § 2 Anm. IV), das ErbStG sehe "den Anspruch solange als nicht vorhanden an, als er nicht geltend gemacht ist."
Übersetzt man diese im Ergebnis gleichen Aussagen in das geltende Recht, ist § 3 Abs. 1 Nr. 1, 3. Alt. ErbStG eine Regelung, die für jeden Erwerb eines Pflichtteilsanspruchs gilt. Der originäre und der derivative Erwerb des Anspruchs sind also gleich zu behandeln. Daher ist es nicht von Bedeutung, dass der derivative Erwerb des Anspruchs bereits als Erwerb durch Erbanfall von § 3 Abs. 1 Nr. 1, 1. Alt. ErbStG erfasst wird. § 3 Abs. 1 Nr. 1, 3. Alt. ErbStG setzt sich auch dann durch. Er ist keine lex alternativa, sondern eine lex specialis.
2. Aber auch wenn man dem nicht folgt, bleibt das Ergebnis. Nach § 45 Abs. 1 S. 1 AO gehen bei Gesamtrechtsnachfolge nicht nur Forderungen und Schulden aus dem Steuerschuldverhältnis auf den Rechtsnachfolger über. Vielmehr tritt der Gesamtrechtsnachfolger materiellrechtlich in vollem Umfang in die Rechtsstellung des Rechtvorgängers ein (BFH v. 17.12.2007 – GrS 2/04, BStBl II 2008, 608).
Der Große Senat des BFH hat offengelassen, ob höchstpersönliche Verhältnisse des Rechtsvorgängers ausgenommen sind. Die hM bejaht das (Boeker in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 45 AO Rn 8 – Stand April 2014; Klein/Ratschow, AO, 13. Aufl., § 45 AO Rn 8). Geht man davon aus, ist aus Inhalt und Zweck der maßgeblichen Vorschriften zu erschließen, ob ein Verhältnis des Erblassers höchstpersönlich ist und deshalb nicht auf den Erben übergeht. Deshalb ist zu fragen, ob das Erfordernis der Geltendmachung an die Person des Pflichtteilsberechtigten gebunden ist, ebenso wie die Geltendmachung eines Verlustvortrags an den gebunden ist, der den Verlust erlitten hat.
Der BFH meint, Rechtfertigung für das zeitliche Hinausschieben der Besteuerung sei das persönliche Näheverhältnis zwischen dem Erblasser und dem Pflichtteilsberechtigten, auf dem der Pflichtteilsanspruch beruhe. Mit dem Näheverhältnis ende auch die Entschließungsfreiheit des Pflichtteilsberechtigten, ob der den Anspruch gegen den Erben geltend mache.
Der Pflichtteilsberechtigte soll nicht gezwungen sein, den Pflichtteil bei dem ihn verdrängenden Erben nur deshalb einzufordern, damit er nicht neben dem Schaden durch Nichtgeltendmachung des Anspruchs auch noch den Spott in Gestalt der darauf anfallenden Erbschaftsteuer hat, die...