a) Ableitung aus Börsenkursen
aa) Tatbestand
Für eine bestimmte Art von Gesellschaftsanteilen, nämlich börsennotierte Aktien, ergibt sich die Art und Weise der Bewertung aus § 11 Abs. 1 BewG. Denn dieser regelt die Bewertung von Wertpapieren und Schuldbuchforderungen, die am Bewertungsstichtag (§ 11 ErbStG) an einer deutschen Börse zum Handel im Regulierten Markt zugelassen sind.
Wertpapiere in diesem Sinne sind Urkunden, die ein Vermögensrecht in der Weise verbriefen, dass das Geltendmachen des Rechts den Besitz der Urkunde erfordert. Außerdem erfasst § 11 Abs. 1 BewG Wertpapiere iSd Wertpapierhandelsgesetzes (WpHG). Das sind – gleichgültig, ob für sie Urkunden ausgestellt sind oder nicht – u. a. Aktien (gleich welcher Ausgestaltung) deutscher Aktiengesellschaften sowie Anteilsscheine, die von in- oder ausländischen Kapitalgesellschaften oder Investmentgesellschaften ausgegeben werden.
Der Regulierte Markt unterteilt sich in den sog. General Standard und den Prime Standard. Pendant zum Regulierten Markt ist der Freiverkehr bzw. Open Market, bei dem es sich nicht um einen organisierten Markt iSv § 2 Abs. 5 WpHG handelt. Nach § 11 Abs. 1 S. 3 BewG gelten die Bewertungsregeln des § 11 Abs. 1 S. 1 u. 2 BewG aber auch für solche Wertpapiere, die in den Freiverkehr einbezogen sind.
Nicht unter § 11 Abs. 1 BewG fallen solche Anteile, die weder im Regulierten Markt noch im Freiverkehr gehandelt werden.
bb) Rechtsfolgen
(1) Grundsatz: Stichtagskurs
Die im Regulierten Markt bzw. im Freiverkehr gehandelten Aktien werden zwingend mit dem niedrigsten für sie am Stichtag notierten Kurs bewertet. Bei variablen Kursnotierungen kommt es auf die niedrigste am jeweiligen Tag festzustellende variable Notierung nicht nur an einer, sondern an allen in Betracht kommenden inländischen Börsen an.
Die Finanzverwaltung hat zwar diesbezüglich in der Vergangenheit wiederholt die Auffassung vertreten, variable Kursnotierungen seien im Rahmen der Bewertung nach § 11 Abs. 1 BewG nicht zu berücksichtigen; das Gesetz ziele lediglich auf den Vergleich der Kassa-Kurse an verschiedenen Börsenplätzen ab. Diese Auffassung ist jedoch weder mit dem Wortlaut des Gesetzes vereinbar, noch wird sie der Zielsetzung der Vorschrift gerecht. Denn die sich im Laufe eines Tages ergebenden Kursschwankungen können in dynamischen Märkten im Einzelfall erhebliche Dimensionen haben, sodass ein Abstellen allein auf die Kassa-Kurse dem Petitum des Gesetzes, den niedrigsten Stichtagskurs anzusetzen, nicht gerecht würde. Eine Beschränkung des Kursvergleichs allein auf unterschiedliche Börsenplätze ist dem Wortlaut des Gesetzes nicht zu entnehmen und erscheint daher willkürlich.
Wird eine an einer deutschen Börse zum Regulierten Markt zugelassene Aktie gleichzeitig an einer anderen deutschen Börse im Freiverkehr gehandelt, kommt nach dem Wortlaut des Gesetzes dem (niedrigsten) im Regulierten Markt zustande gekommenen Kurs der Vorrang gegenüber (etwa niedrigeren) Freiverkehrskursen zu. Denn nach § 11 Abs. 1 S. 1 BewG ist für die zum Handel im Regulierten Markt zugelassenen Wertpapiere der niedrigste in eben diesem Regulierten Markt notierte Kurs anzusetzen.
Bei nur im Ausland gehandelten Aktien wird vorrangig auf Telefonkurse im inländischen Bankverkehr abgestellt, im Übrigen auf (den niedrigsten) Börsenkurs im Emissionsland.
(2) Hilfsweise letzter Kurs binnen 30 Tagen vor dem Stichtag
Kann am Bewertungsstichtag keine Kursnotierung im Regulierten Markt festgestellt werden, orientiert sich die Bewertung nach § 11 Abs. 1 S. 2 BewG an der letzten Kursnotierung der Aktie innerhalb von 30 Kalendertagen vor dem Stichtag. Maßgeblich sind auch insoweit primär die im Regulierten Markt notierten, hilfsweise – auch wenn dies aus dem Gesetz so nicht unmittelbar abgeleitet werden kann – die des Freiverkehrs.
Die Vereinbarkeit der Vorgaben des § 11 Abs. 1 S. 2 BewG mit dem Stichtagsprinzip des § 11 ErbStG ist mehr als fraglich. Der Rückgriff auf bis zu 30 Kalendertage vor dem eigentlichen Stichtag festgestellte Kurse ist eigentlich nur dann vertretbar, wenn sich die Marktbedingungen zwischen dem Tag der Kursnotierung und dem Bewertungsstichtag iSv § 11 ErbStG nicht nennenswert verändert haben und der (mehr oder weniger veraltete) Kurs nicht als "überholt" angesehen werden muss. Diese Voraussetzung dürfte in der Praxis nur selten erfüllt sein, zumal ja auch die Aussetzung der Notierung meist nicht ohne Ursache erfolgt und sie daher bereits auf eine tiefgreifende Veränderung der wertbeeinfluss...