Soweit (und auch nur wenn) eine Bewertung nach § 11 Abs. 1 BewG – aus welchen Gründen auch immer – nicht möglich ist, kommt § 11 Abs. 2 BewG zum Tragen, insbesondere also bei nichtnotierten Anteilen. Nach § 11 Abs. 2 S. 2 Hs. 1 BewG erfolgt die Ableitung des gemeinen Werts primär aus innerhalb eines Jahres vor dem Stichtag – unter fremden Dritten – erzielten Verkaufspreisen für Anteile an derselben Gesellschaft.
Verkaufstransaktionen im Sinne der Vorschrift sind neben Verkäufen im engeren Sinne auch der Anteilstausch, die Übernahme von Anteilen anlässlich einer Kapitalerhöhung (insb. wenn hierbei neue Gesellschafter aufgenommen werden) sowie das Ausscheiden aus der Gesellschaft gegen Abfindung, soweit sich diese am Verkehrswert der Beteiligung orientiert.
Nach dem Wortlaut des Gesetzes müssen Verkäufe "unter fremden Dritten" vorliegen. Bis Ende 2008 sprach das Gesetz insoweit noch von Veräußerungen im "gewöhnlichen Geschäftsverkehr". Dies meinte den Handel, der sich nach marktwirtschaftlichen Grundsätzen von Angebot und Nachfrage unter frei agierenden Wirtschaftssubjekten vollzieht, und bei dem jeder Vertragspartner ohne Zwang und unter Wahrung seiner eigenen Interessen zu handeln vermag. Diese Abgrenzung ist auch nach der Neufassung maßgeblich. Die Einschränkung "unter fremden Dritten" zielt nach der Gesetzesbegründung lediglich darauf ab, eine gesetzliche Vermutung für die Marktangemessenheit zwischen fremden Dritten vereinbarter Preise aufzustellen. Materiell betrachtet ist aber die Individualität der Vertragsparteien (bzw. deren etwaiges Verwandtschafts- oder sonstiges Näheverhältnis) irrelevant, solange der Preis, auf den sie sich geeinigt haben, einem Fremdvergleich standhält, also nach Kriterien gebildet wurde, wie sie auch von fremden Dritten in Erwägung gezogen worden wären. Die diesbezügliche Darlegungs- bzw. Feststellungslast trifft im Zweifel den Steuerpflichtigen.
§ 11 Abs. 2 S. 2 Hs. 1 BewG bezieht sich nur auf solche Verkäufe, die innerhalb einer Frist von einem Jahr vor dem Bewertungsstichtag erfolgt sind. Diese zeitliche Grenze kann auch dann erfüllt sein, wenn nur der dingliche Vollzug (also Anteilsabtretung bzw. Kaufpreiszahlung) innerhalb der Jahresfrist erfolgt, der Vertragsschluss aber (noch) länger zurückliegt. Außerdem kommt eine Überschreitung der Einjahresfrist auch in Betracht, wenn auf einen Basiswert iSv § 151 Abs. 3 BewG zurückgegriffen wird. Denn dieser kann durchaus aus einem – bezogen auf den aktuellen Bewertungsstichtag – länger als ein Jahr zurückliegenden Verkauf abgeleitet worden sein. Verkäufe nach dem Stichtag sind für § 11 Abs. 2 S. 2 Hs. 1 BewG grundsätzlich irrelevant.
Die eigentliche Wertableitung orientiert sich stets am tatsächlich erzielten, nicht unbedingt (nur) am ursprünglich vereinbarten Verkaufspreis. Auch nach dem Bewertungsstichtag eintretende Kaufpreisminderungen sind zu berücksichtigen, wenn bzw. soweit das Recht zur Minderung bereits vor dem Stichtag entstanden war und die Kaufpreisminderung auch tatsächlich vollzogen wird.
Der vom Gesetz verwendete Begriff "Ableitung" bedeutet außerdem nicht etwa, dass der gemeine Wert unbedingt mit den tatsächlich beobachteten Kaufpreisen übereinstimmen muss. Diese bilden lediglich den Ausgangspunkt für die Bewertung. Besondere Umstände bzw. Ausstattungsmerkmale der bewertungsgegenständlichen Beteiligung, die von den tatsächlich veräußerten Anteilen abweichen, sind durch entsprechende Zu- oder Abschläge zu berücksichtigen. Dies gilt beispielsweise für die Ableitung des Werts von nicht notierten Aktien einer bestimmten Gattung aus Kursnotierungen für Aktien einer anderen Gattung oder für die Ableitung des Werts einer Minderheitsbeteiligung aus dem bei der Veräußerung einer Mehrheitsbeteiligung erzielten Verkaufspreis. Gleiches gilt für Wertschwankungen aufgrund einer Veränderung der Marktlage.
Der Substanzwert als Mindestwert spielt im Rahmen der Bewertung nach § 11 Abs. 2 S. 1 Hs. 1 BewG keine Rolle.
Eine Möglichkeit, die Wertableitung aus den bei zeitnahen Verkäufen erzielten Kaufpreisen – z. B. wegen zwischenzeitlich eingetretenen tiefgreifenden Veränderungen – vollständig zu verwerfen, besteht nach dem Gesetzeswortlaut nicht. Der Nachweis eines niedrigeren gemeinen Werts (wie etwa für Immobilien nach § 198 BewG) ist im Gesetz nicht vorgesehen. Dessen ungeachtet dürfte ein starres Festhalten an im Besteuerungszeitpunkt nicht mehr realistischen Verkaufserlösen mit dem Stichtagsprinzip des § 11 ErbStG nicht vereinbar sein.